Kontrabassklarinette mal Fünf bei den Tonlagen in Hellerau
Es wird sicher Menschen geben, die noch nie im Leben eine Kontrabassklarinette gehört haben, vielleicht auch gar nicht wissen, dass dieses Instrument existiert. Sie sind zu bedauern, dass sie den Weg ins Festspielhaus Hellerau zum Tonlagen-Festival am Freitagabend nicht gefunden haben, denn der Abend mit fünf (!) Kontrabassklarinetten war ebenso verrückt wie faszinierend. Doch so exotisch das Instrument ist, so überraschend groß war der Publikumsandrang. Und man darf gratulieren, dass in diesem Fall das so wichtige akustische Ambiente berücksichtigt und der große Saal als Spielort ausgewählt wurde. Zudem standen große Kissen für den Hörgenuss aus einer entspannten Haltung heraus zur Verfügung.
Wie aber kam es zu dem Konzert? Die Kontrabassklarinette selbst ist ja noch ein recht junges Instrument, findet sich vor allem in zeitgenössischen Ensemble- und Solowerken, aber auch in Blasorchestern und im Jazz ist sie anzutreffen. Der besonders große Tonumfang, die enormen klanglichen Möglichkeiten in raunender Tiefe, aber eben auch der sehr spezifische Höhenklang des Instrumentes sowie deren Überlagerungen mit mehreren Instrumenten reizten den Solisten Theo Nabicht, hervorragende Kollegen (in der Kontrabassklarinettenszene ist man ohnehin gut vernetzt, um plötzliche Einsätze des – eben seltenen – Instrumentes zu koordinieren) für ein Konzert zu fünft zu gewinnen. Mit 85 Minuten „Bass-Surround“ wurde das Publikum beglückt.
Dass man trotz der – psychisch zumindest Beruhigung versprechenden – Tieffrequenzlastigkeit keinerlei Langeweile verspürte, lag an einem sehr intelligenten Programm, das Solo und Quintett ebenso miteinander verband wie Freies und Festgelegtes, Aufwühlendes und Sphärisches. Spaß machte das Programm also eher durch seine Klangsinnlichkeit denn durch komödiantischen Bass-Wumms, den man aus vorweihnachtlichen Meetings der Bläserklasse noch in eigener Erinnerung hat. Durch die pausenlose Verklammerung von Stücken u. a. von Marc Andre, Giacinto Scelsi und Gerard Grisey traten die Komponisten auch hinter ihre Musik zurück – die Instrumente führten den Dialog. So entstanden fernab von den intendierten Geschichten der Komponisten Bilder vor dem „geistigen Auge“ – eine hoch geführte Solopassage wäre mit der Assoziation „kleine Vögel in Notlagen“ noch am besten zu beschreiben, während Marc Sabats „Rameau“-Komposition in langsam-stetiger Überlagerung von drei Kontrabassklarinetten wirklich an eine gemächliche Bewegung von Walen im Ozean erinnerte.
Andere Stücke wiederum klangen wie Tiere, die noch erfunden werden müssen – eben einzigartig. Das Duo „Antiphon“ von Georg Friedrich Haas erzeugte so viele Interferenzen, Resonanz- und Obertöne, dass man mindestens ein drittes Instrument im Raum vermutete, was aber nicht der Fall war. Griseys Solostück „Anubis-Nout“ nähert sich dem Jazz an, auch einige Improvisationen überschritten diese Grenze mühelos; unbelastet von jahrhundertealter Geschichte ist die Kontrabassklarinette (man glaubt es bei der Größe kaum) vor allem flexibel in den Genres und Spielarten.
Begeistert war das Publikum am Ende des Konzertes nicht nur wegen der Begegnung mit einem nun gar nicht mehr so unbekannten Instrument, sondern auch wegen der unglaublichen Virtuosität von Theo Nabicht, Richard Haynes, Bohdan Hilash, Manfred Spitaler und Hans Koch, die sich am Ende in Louis Andriessens minimalistischem „Workers Union“ zu atemberaubend rasanten rhythmischen Ketten zusammenfanden, getreu dem Motto: Wer atmet, verliert.
(13.10.12)
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