Der Komponist Wolfgang Mitterer spielte in der Dreikönigskirche
Fester Bestandteil in den Ausbildungsveranstaltungen an der Hochschule für Musik Dresden ist seit Jahren die Begegnung mit renommierten zeitgenössischen Komponisten, die zu Workshops sowie Proben und Konzerten eigener Werke mit Studenten an die Hochschule eingeladen werden. In diesem Wintersemester ist der österreichische Komponist Wolfgang Mitterer (*1958) zu Gast in Dresden, der neben Gesprächskonzerten und Workshops auch der Hochschul-Produktion seiner Oper „Das tapfere Schneiderlein“ (Premiere am 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus) beiwohnt und sich am Donnerstagabend in der Dreikönigskirche als Interpret und Improvisator vorstellte.
Dabei verband er zwei seiner zentralen künstlerischen Wirkungsebenen, nämlich die Orgel und die Elektronische Musik. Dass an diesem Nikolaustag die Kirche nicht gerade prall gefüllt war, war vorauszusehen, doch dankten die Zuhörer Mitterer für ein außergewöhnliches Musikerlebnis derart, dass dieser sogar noch eine Zugabe gab. Obwohl man sehr komplexe und originäre Klänge hörte, ist die Idee eigentlich frappierend einfach: die Orgel ist zwar die Königin der Instrumente, aber trotz ihrer Vielfalt im Klang und in den Spielmöglichkeiten ist sie endlich, und zwar an der Stelle, wo die Phantasie schon innerlich Klänge erfindet, die rein mechanisch gar nicht mehr möglich wären: der Organist hat eben nur zwei Hände und Füße, die Pfeifen lassen sich „live“ schon gar nicht verbiegen und was wäre, wenn man dem tiefen 16-Fuß noch eine Wolke aus tieffrequenten Basstönen hinzuordnet, da wo kein Pedal mehr hin findet?
All diese Gedankenspiele sind auf erstaunliche Weise durch Elektronik (heute) lösbar. Wo Ligeti und Kagel mit ihren Orgelwerken noch an Grenzen stießen, manchmal sogar ein Kurzschluss dem wilden Treiben der Neutöner ein jähes Ende setzte, benutzt Wolfgang Mitterer Sampels der gleichzeitig gespielten Orgel, die einen enormen Klangraum eröffnen, der aber niemals zu weit vom Originalklang abweicht. Mitterers knapp einstündige „Mixture“ für Orgel und Electronics bezog seinen Reiz daher auch durch den bruchlosen Übergang zwischen der Orgel und dem Sample-Kosmos, der quasi nicht ein neues Instrument, sondern lediglich ein erheblich im Frequenzspektrum und damit auch in der Klangfarbe erweitertes schafft. Mit dem Fehlen der optischen Komponente des Anblicks von Lautsprechern und Synthesizer war die Illusion perfekt. Mitterer war zudem in der Lage, Elektronik und Registrierung feinfühlig anzupassen, sodass mehrminütige, großbögig angelegte Entwicklungen entstehen und vergehen konnten. Nach dem Wegfliegen der Töne folgte das Wegfliegen der Gedanken, man konnte sich dieser Klanglandschaft ungehindert hingeben und die Musik fast wie eine Droge empfinden, so unmittelbar und unausweichlich war der Eindruck, in dem auch leise Klangflächen und melodische Erfindungen natürlich integriert schienen.
Interessant war ebenfalls, wie das Ohr sich nach und nach an die Farben und Entwicklungen gewöhnt, rhythmische Pulsationen wahrnimmt und zwischen den Ebenen mühelos wechselt, als würde man eine Bach’sche vierstimmige Fuge verfolgen. Mitterer schuf damit einen ganz eigenen Planeten aus Orgelklängen, mit Gebirgen, Tälern und Abgründen, Brausen und Wind, Stille und Nachhall. Dass ein adventliches Augenzwinkern an diesem Datum durchaus auch in Mitterers Phantasiekiste vorhanden ist, bewies die schöne, nach fast techno-artigem Beginn sauber tonal auskadenzierte Zugabe.
* Wolfgang Mitterer: Das tapfere Schneiderlein, Oper
Premiere 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus, Koproduktion der HfM, des Staatsschauspiels Dresden und der HfBK Dresden
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