Brahms und Mahler im Konzert der „medicanti“
Liegt da „Titanisches“ in der kalten Luft des neuen Jahres? Oder soll mit den Vogellauten zu Beginn der 1. Sinfonie von Gustav Mahler ein Hauch von Frühling herbeigesehnt werden? Diese Fragen kommen derzeit auf, weil das großbesetzte Epos des Spätromantikers in Dresden gleich drei Mal innerhalb von zwei Monaten zu erleben ist. Just ist es noch von der Staatskapelle im Ohr, die Philharmonie wird sich im Februar in die Partitur vertiefen und am Sonntag stand das Werk auf dem Programm des Konzertes des Orchesters „medicanti“ – dem Orchester der medizinischen Fakultät der TU Dresden.
Mahler von einem Laienorchester? Aber ja doch! Der Zweifel entpuppt sich schnell als flüchtige Seifenblase, wenn man Geschichte und Anspruch dieses Ensembles betrachtet. Seit 26 Jahren sind die „medicanti“ in der Dresdner Musikszene aktiv, und sie haben vor allem in den letzten Jahren unter Leitung von Wolfgang Behrend einen großen Qualitätssprung gemacht. Auch von der Besetzung her ist man in der Lage, spätromantisches Repertoire zu verwirklichen. Herz, Können und Engagement aller Mitglieder gibt es inklusive, und man darf nicht vergessen, dass für ein solches Programm gut ein halbes Jahr hart geprobt wird.
Die Lorbeeren durften die „medicanti“ in der Kreuzkirche ernten, und zwar von einem restlos begeisterten Publikum, das – keinesfalls Mahler-überdrüssig – in Scharen erschienen war, so dass sogar die Emporen geöffnet wurden. Mahler zur Seite gestellt war passenderweise das Violinkonzert D-Dur von Johannes Brahms. Interpretiert wurde es von der jungen Dresdner Solistin Anna Matz, die selbst vor ihrem jetzigen Geigenstudium in Weimar mehrere Jahre im Orchester mitspielte. Schön war ihr jederzeit im Kirchenraum vernehmbarer großer, sauberer Ton und ihr selbstbewusster Zugriff – das Orchester hätte in der Begleitung gar nicht so viel Vorsicht walten lassen müssen.
Man merkte jederzeit, wieviel Detailarbeit im Solopart steckte, doch ging durch den Ansatz eines überbreiten Ausspielens jeder Phrase im 1. Satz ein wenig die kontrastreiche Spannung des Themenwechselspiels verloren. Sehr viel überzeugender waren die anderen beiden Sätze ausgestaltet – Matz fand hier zu einem lockerem, lyrischen Spiel und kostete schließlich die Raffinessen des Finales gut aus.
Was dann nach der Pause auf die Zuhörer einströmte, kann in der Summe nur als beeindruckend bezeichnet werden. Behrend hatte das große Ensemble für Gustav Mahler optimal vorbereitet und betreute die Klangmassen sorgfältig und motivierend. Man geriet ein ums andere Mal ins Staunen: glasklare Ferntrompeten zu Beginn, harmonisch heikle Wechsel in makelloser, von Behrend auch sinnvoll ausmusizierter Ausführung, dann immer wieder plötzliche Eruptionen oder markante Akzentuierungen im Blech oder im Schlagzeug – die Liste der feinen Klangmomente ist lang. Nach der stets sicheren Fahrt durch „schwere Wasser“ mit groteskem Scherzo und intensivem Trauermarsch hieß es „Feuer frei“ für das dramatisch anhebende Finale.
Und auch hier bewahrten medicanti Contenance und überzeugten in allen Stimmgruppen. Als schließlich auch noch der gefährliche Soloeinstieg der Bratschen überaus klangvoll die schmetternde Reprise vorbereitete, atmete man durch, lauschte dem sich erhebenden Hörner-Septett und war am Ende baff: dass mir noch jemand erzählt, für Laienorchester käme Mahlers Sinfonik keinesfalls in Frage, verneine ich mit dem Hinweis auf dieses tolle Musikerlebnis zukünftig gerne.
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