1. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle
Die Ferien sind vorüber, der Sommer neigt sich und die Musik kehrt in die Dresdner Konzertsäle zurück. Ein kleines Déjà-vu-Erlebnis stellte sich bei der Betrachtung des Programmes des 1. Sinfoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden ein. Chefdirigent Christian Thielemann hatte in seinem Antrittskonzert vor einem Jahr schon einmal eine Bruckner-Sinfonie mit Orchesterliedern gekoppelt. Waren es damals Werke des ebenfalls selten aufgeführte Hugo Wolf, so konnte man diesmal Hanns Eislers letzte fertiggestellte Komposition hören – die „Ernsten Gesänge“ für Bariton und Streichorchester aus dem Jahr 1962.
Vor fast genau 50 Jahren wurde dieses Werk von der Staatskapelle und dem Bariton Günther Leib uraufgeführt. Eine Antwort auf die Frage zu geben, dass der Name Hanns Eisler in den letzten zwanzig Jahren völlig aus den Programmen verschwunden ist, würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen – in jedem Fall bot die Wiederaufführung eine Gelegenheit, sich mit Werk und Komponist auseinanderzusetzen, zumal die Ausführung mit Christian Thielemann am Pult und dem Bariton Thomas Hampson hochklassig war.
„Es kommt auf den Sänger an“, so schrieb Eisler im Vorwort zur Partitur, er „möge die Inhalte eher referieren als auszudrücken“. Thomas Hampson nahm den Komponisten beim Wort und schuf in den sieben Gesängen mit Textvorlagen von Hölderlin, Leopardi, Viertel, Richter und Hermlin eine überaus spannende Atmosphäre, die dem sprichwörtlichen „Ernst der Lage“ gerecht wurde, Eisler somit zu einem Zeitdokument werden ließ, in dem keine überflüssige Emphase zu hören war, sondern behutsam dem von Eisler knapp und zumeist syllabisch vertonten Texten nachgegangen wurde. Zugleich wendet sich dieses Werk in den Lebens-Nachhall: Schönbergsche Syntax ist ebenso Eislers Material wie eine leichte, fast naiv anmutende Melodik, die auf die Arbeiterlieder zurückweist, hier aber jeglicher Funktion enthoben scheint, in der Poesie verbleibt. Thielemann und Hampson wiederholten nach dem Applaus das Lied, das abgehoben von seinem konkreten Anlass zeitlos fragt: „Leben, ohne Angst zu haben?“
Der eindringliche Beginn verlangte nach Fortsetzung, wenngleich in einer ganz anderen musikalischen Welt. Thielemann löste den Wunsch ein, und wer die Folge der Bruckner-Aufführungen in Dresden erlebt hat, freute sich über die Erkenntnis, dass Thielemann Bruckner ebenfalls „beim Wort“ nimmt. In der 7. und 8. Sinfonie herrschen eben – bei allem gleichbleibenden Gestus – andere Proportionen und Klangwelten vor als in der 5. Sinfonie B-Dur, die als kontrapunktisches Meisterwerk gilt, die aber eben aufgrund ihrer Dichte in der Harmonik nicht einfach vom Hörer aufzunehmen ist. Thielemann entschied sich für größtmögliche Transparenz vor allem um die sich ständig verschiebende Harmonik des Werkes auszuleuchten. So stellte er die vier Sätze jeweils auf eine niemals starre Tempo-Basis, bei der alle Kontraste und Themenverschlingungen Platz hatten, ohne das Gesamtkonstrukt ins Wanken zu bringen. Fein ausgehört waren viele Tutti-Abschnitte, die ersten beiden Sätze bildeten eine Einheit in ihrer von Thielemann zumeist ruhig angelegten Linearität.
Viele Ausbrüche und dynamische Kontraste trugen hier nicht auffahrende Plötzlichkeit in sich, sondern waren eingebettet in das Geschehen. Im Scherzo ließ Thielemann nicht nur süffig spielen, sondern förderte auch die rhythmische Komplexität dieses Satzes zu Tage. Das Finale war dann vom ganzen Orchester noch einmal eine Meisterleistung, mitsamt energetischer fugati und einer langen Stretta, für die genug Kraft aufgehoben wurde, die aber ebenfalls transparent glänzen durfte. Die lange Stille danach war notwendig, sie wurde abgelöst von brausendem Applaus für diese eindrückliche Saisoneröffnung.
Kommentaren