Ich habe gestern einen Medienkongress besucht. Nicht irgendeinen, sondern den größten studentischen Medienkongress Deutschlands. Und falsch, ich war weder in Berlin noch in Köln, sondern in Mittweida. Das beschauliche Städtchen verfügt über eine Hochschule mit sehr gutem Ruf. Der geht nicht nur nach außen. Manchmal ruft die Hochschule auch selbst, wie in diesem Fall namhafte Referenten zum Medienforum Mittweida. Die nackten Zahlen: 70 Referenten, 19 Panels und 7 Workshops – Motto in diesem Jahr: „Impuls der Zeit“ (Trailer).
Über eine Blogparade im Sommer bin ich auf das Medienforum aufmerksam gemacht worden und sagte als medienaffiner Mensch mit Spaß am Schreiben sofort einen Blogbeitrag zu. Sehr erfreut war ich dann, dass ich bei der dabei veranstalteten Verlosung dann auch noch ein Ticket für den Besuch des Medienforums erhalten habe.
Nun darf ich voranschicken, dass ich kein Medienexperte bin, wenngleich ich in Print- und Onlinemedien als Autor und Journalist arbeite. Die Beschäftigung mit Blogs und Medien geschah und geschieht vor allem interessehalber, tangierte in den letzten Jahren aber immer mehr auch Berufliches. Im Rückblick ist es bei mir auf jeden Fall eine kontinuierliche Geschichte (ich hole etwas aus): erste Erfahrungen hatte ich etwa 1998, vor allem mit Dingen wie ICQ und Communities – damals hieß das social web noch „chat“, war verrucht und störanfällig. Netiquetten hat man damals noch selbst entworfen, das Modem brummte und spuckte unglaubliche Rechnungen aus, und der SMS-Ton vom ersten Nokia war das höchste der Gefühle.
Rede ich von einem anderen Stern? Vermutlich, wenn ich die letzten zwei Tage – aber auch die Entwicklungen der letzten 10, 15 Jahre (mehr sind es nicht!) Revue passieren lasse. Für einen Außenstehenden mag ein Medienkongress mit zig Vorträgen vielleicht etwas dröge erscheinen, für mich war es von Anfang an sehr spannend, zu sehen, was da auf die Beine gestellt wurde und vor allem („Impuls der Zeit“ eben): wo sich der Mediendiskurs heute inhaltlich befindet. Eine Art „Horizont-Update“ für mich selbst hatte ich erwartet und das wurde mehr als eingelöst. Denn vieles strömt (auch und gerade bei den Schnell- und Querlesern, zu denen ich mich zähle) heute in enormer Geschwindigkeit am Bewusstsein vorbei. Man hat oftmals schon beim Lesen im Netz Mühe, die wichtigen Dinge zu finden, die Frage zu beantworten, was denn Relevanz für einen selbst bedeutet, die gefundenen Dinge dann noch richtig zu bewerten und – letzter Schritt – daraus eine Anwendung und Beschäftigung, sprich Nutzen oder Haltung/Meinung abzuleiten.
Den medialen Stein der Weisen hat natürlich auch Mittweida nicht parat (stattdessen „tatsächliche“ Enten und Schwäne mit analogem Selbstantrieb im Rundkurs auf dem Teich vor der Hochschule), aber schon in der Vorbereitung auf meinen Besuch kam ich beim Studium des Programms gehörig ins Schwitzen, denn auf der einen Seite verhinderten einige Termine den Besuch des ersten Tages, zum anderen wäre ich auch am zweiten Tag gerne in eine Parallelgestalt gestiegen, um einen gleichzeitig im anderen Saal stattfindenden Vortrag besuchen zu können. Mir konnte geholfen werden: bequem aus dem Wohnzimmer heraus konnte ich zumindest einen Teil des ersten Tages per Stream mitbekommen und werde im Nachhinein auch verpasste Vorträge des 2. Tages anschauen können.
Denn – das sei deutlich hervorgehoben – dieser Medienkongress war bis ins Detail (wozu ich auch so liebenswertes wie Hustenbonbons am Infopoint zähle!) spitzenmäßig durchorganisiert und die Website des Medienforums platzt fast vor Dokumentation, Interviews und begleitenden Texten – dazu zählen auch Shots von Twitter, Videos und liebevoll erstellte Trailer (gruselig-genial der Trailer zum „Shade of Books“-Panel). Halbe Sachen gibt es in Mittweida nicht und die Vorträge und Workshops wurden allesamt mit gleicher Sorgfalt behandelt, gleich ob es um TV, youtube, erfolgreiche Blogs oder „Wahlkampf im Web“ ging.
Die Organisation begnügte sich auch nicht mit dem Ermöglichen des Medienforums, sondern war auch „mittendrin“, und das natürlich auch im positiven Eigennutz – ein „Meet and Greet“ mit den Referenten war sicherlich für viele Studenten ebenso gewinnbringend wie eine Recruiting Lounge – schließlich befinden sich unter den Referenten nicht nur potenzielle Arbeitgeber, sondern auch spannende Gesprächspartner für genau die Bereiche, in denen sich die Studenten gerade qualifizieren.
Ich kann leider nicht auf alle – besuchten oder im Großteil verfolgten – Panels eingehen, dazu gibt es ja auch jede Menge Material beim Medienforum. Ich fasse aber kurz zusammen: am ersten Tag sah ich per Stream „Net Candy“ von Kathrin Koehler, womit eine gute erste Standortbestimmung gelang, sowohl was Entertainment als auch nützliche Erfindungen im Web angeht. Vom folgenden Rechts-Panel musste ich mich in der Mitte des Streams etwa verabschieden, nahm aber mit, dass das ein umfangreiches Spezialgebiet ist, zudem a) ständig in Veränderung begriffen und b) von vielen Einzelfällen und verschiedenen Gesetzeslagen abhängig. Eine Diskussion über Qualitätsfernsehen am späten Nachmittag konnte ich zumindest per Twitter verfolgen – denn Publikum und Medienforum waren mit Fragen und Kommentaren eifrig dabei. Das Podium war offenbar auch „anfällig“ dafür, denn aus den Tweets war deutlich herauszulesen, dass sich die Sendervertreter nicht unbedingt in der Mitte der Mediengesellschaft mit ihren Statements befanden und „Qualität“ erst gar nicht und dann auch sehr fragwürdig definiert wurde. Eine hieraus vielleicht zu filternde „German Angst“ (ich weiß, dass der Begriff in einen andere Kontexte gehört, aber eine bessere Umschreibung fiel mir nicht ein) war – in anderer Form – auch aus den Reaktionen zu einem anderen Panel ablesbar, in dem es um Wahlkampf im Web ging. Ganz anders als die Medienstudenten, die zu allen Gelegenheiten ganz selbstverständlich die passenden Equipments der Medien nutzen, schwebte hier immer noch eine wohl aus der Generationenproblematik und dem Festhalten an Althergebrachtem entstandene „Neulandwolke“ über den Diskutanten.
Unvorstellbar war eine solche „Wolke“ allerdings bei dem ersten Panel am Dienstag, das ich live besuchte – im „Transmedia Storytelling“ wurde eine selbstverständliche, zukunftsgerichtete Vernetzung von Verlagen, apps, Web und Film anhand dreier Projekte/Produkte (etwa die mich durchaus faszinierende „Wagner-App“ von Gebrüder Beetz) vorgestellt. Anschließend gab Ninia Binias aus eigener Erfahrung heraus wertvolle Tipps zum Bloggen und zeigte ihren Weg vom „ich-schreib-jetzt-mal-was-ins-Internet“ bis hin zum Fulltime-Job „Blog“. Das war für mich insofern spannend, da ich selbst schon seit 2004 (der Link führt zu meinem ersten Blog, das PW-geschützt – 20six wurde irgendwann zu twoday – offenbar eine Art Altersheimdasein fristet…) blogge. Der Vortrag zeigte eben auch, dass es einigermaßen aufwändig ist, diese Schritte zu gehen. Mein Blog ist meine kleine Schreibecke geblieben, ich hänge sogar immer noch bei twoday ab (man verzeihe mir) und lehne ca. einmal im Monat ab, ohne Vergütung über Online-Pokergames zu schreiben – eine deutlich geringere Quote als bei Ninia also 😉 Trotzdem habe ich Spaß daran und bin eigentlich auch froh, dass meine „Nische“ nicht plötzlich zum Surftipp wird, denn wie gesagt – die Pflege ist doch sehr aufwändig, man will ja auch für seine Leserschar aktiv sein.
Am Nachmittag konnte ich dann aufgrund meines begrenzten Zeitkontingents nicht mehr bis zum Ende bleiben – aber immerhin noch das Panel zum „Make of“ der Völkerschlacht-Doku vom MDR miterleben. Ein tolles, überzeugendes Format und gleichzeitig Experiment, das mir aber auch in Zwischentönen themenübergreifende Erkenntnisse brachte – Katja Wildermuths Enthusiasmus an dem Projekt war in dem Panel nahezu greifbar, und insofern war auch schön zu erfahren, dass nicht nur Skills und Money die Medienwelt regieren können, sondern auch der Spaß an der Sache, der ganz überraschende, gute Ergebnisse hervorbringt.
Insgesamt also für mich tolle, spannende zwei Tage – live natürlich am besten. Die Stimmung auf den Veranstaltungen war immer sehr konzentriert und dabei aber stets sympathisch. Das strahlte wiederum auf die Referenten aus, die – so liest man – sehr gerne nach Mittweida kamen.
Wo bleibt die Kritik? Höchstens an mir selbst, dass ich nicht komplett dabei sein konnte, dafür aber jetzt viel zu viel geschrieben habe 😉 Als Zukunftsimpuls wäre sicher auch ein Panel interessant, dass den Fokus mehr ins Internationale legt. Schließlich ist das Netz global (was – immer noch – nicht heißt, dass es jeder hat) und daraus erwachsen auch noch viele Aufgaben. Und: hey Medienschaffende in Mitteldeutschland, ihr seid viel mehr, als ich in MW gesehen habe. Kommt gefälligst dahin! Es lohnt sich.
Noch mehr Rückblick gefällig? Bittesehr:
* * ABC fürs Medienforum Mittweida
* Netzpiloten – zum Panel „Back to the Future“
* [ich hoffe, es gibt noch mehr Feedback – ansonsten wäre dies auch ein Kritikpunkt: google news hat am „Tag danach“ fast nur hochschuleigene Beiträge zu bieten – oder ist etwa auch die internationale Presse noch im Banne der Abschlussparty? 😉 ]
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