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In Wunsch- und Angstsphären des Melos

Wolfgang Rihm im Konzert und im Gespräch an der Musikhochschule

Der diesjährige Capell-Compositeur Wolfgang Rihm weilte fast eine Woche in Dresden, um Aufführungen seiner Werke in der Semperoper und an der Hochschule für Musik beizuwohnen. Traditionell stellt sich der Capell-Compositeur im Rahmen von Veranstaltungen von KlangNetz Dresden und der Sächsischen Akademie der Künste auch in Workshops vor – Rihm arbeitete mit den Kompositionsstudenten im Unterricht, besuchte Proben und sprach am Freitag mit Peter Gülke und Jörn Peter Hiekel über Komposition und Musikdenken.

In dem zweistündigen, sehr gut besuchten Gespräch konnte man tiefe Einblicke in Rihms Kompositionswerkstatt gewinnen und gleichzeitig Referenzen zur musikalischen Tradition feststellen. Wenn Rihm sich selbst bei der Arbeit als „Protokollant einer Spannungsübertragung“ sieht, verrät das schon viel über eine Einstellung, die zwar das Element und die Idee proklamiert, aber viel mehr Interesse am Verlauf zeigt. Kriterien entstehen da durch Vergleich, aufgebaute Feindbilder dienen zur Schaffung des eigenen Standpunktes; der Schaffensprozess selbst, so Rihm, gleicht einer „Hege“ und ist im günstigsten Fall von Vertrauen und Respekt – und natürlich langer Erfahrung im Umgang mit der Materie Musik – gekennzeichnet. Die Leidenschaft des Musikschaffenden ist dem 62jährigen Rihm dabei an den Augen abzulesen: seine vielen Tätigkeiten und Engagements als Lehrer und Juror etwa bringen in heutzutage in die Position, ständig die Rückkehr an seinen Schreibtisch organisieren zu müssen.

Die Werkschau in Dresden wird Rihm jedoch sehr erfreut haben – am Sonnabend musizierten Studenten der Musikhochschule einen ganzen Kammermusikabend mit seinen Werken. Obwohl nur vier Stücke aus verschiedenen Schaffensperioden auf dem Programm standen, war die Auswahl doch so beziehungsreich, dass man einen sehr charakteristischen, geschlossenen Eindruck erhielt. Zudem überlagern sich in verschiedenen Werkzyklen Formen und Ideen, die Rihm einem übergeordneten work-in-progress gleich immer wieder aufgreift, übermalt, weiterentwickelt oder neuen Widerparts zur Diskussion stellt. Diese Erkenntnisse konnten aus überzeugenden Aufführungen heraus entstehen, da die Studenten bestens präpariert waren.

Man machte keine Zugeständnisse: das 12. Streichquartett aus dem Jahr 2002 etwa gehört zum technisch Schwersten, was Rihm überhaupt in dieser Gattung komponiert hat. Ein polyphones Dickicht tat sich da auf, und trotz permanentem Aktionismus und einer Art exaltierten Rhetorik in allen vier Instrumenten schafften die Musiker eine leicht gedämpfte, fast „gedackte“ Atmosphäre herzustellen. Das war ebenso spannend nachzuvollziehen wie Elena Rubios Parforceritt in „Über die Linie VII“, eine Reise in die „Wunsch- und Angstsphäre des Melos“ (Rihm). Das zwanzigminütige Solostück ging die Geigerin mit einer adäquaten Besonnenheit an, die dem enormen Spannungsbogen des Stückes keinerlei physische Dramatik beigab – so schwang die Musik frei.

Das Trio „Chiffre IV“ war als konzentriert dargebotener Auftakt ebenso geeignet wie das größer besetzte Ensemblestück „Chiffre II – Silence to be beaten“ als vulkanischer Ausbruch zum Ende des Konzertes. Nicht nur der anwesende Komponist zeigte sich hochzufrieden – die Musiker dürften ebenso eine starke „Rihm-Erfahrung“ aus dieser Woche mitnehmen wie die Zuhörer, die Gelegenheit bekamen, den „Kontinent Rihm“ einmal hautnah und musikalisch intensiv zu erleben.
(31.3.14)

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Veröffentlicht in Rezensionen

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