MDR-Orchester und Chor im Frauenkirchen-Konzert zum Ewigkeitssonntag
Konzerte in den Novembertagen lehnen sich in Dresden vielfältig dem Kirchenjahreslauf an. So kann man in den eher dunkleren Tagen einer Annäherung oder Auseinandersetzung mit Themen nachkommen, bei denen die Musik eine Brückenfunktion einnimmt und uns auch die Freiheit gibt, die Nähe oder Distanz selbst zu bestimmen. Ein von der Frauenkirche veranstaltetes Konzert zum Ewigkeitssonntag versammelte die Klangkörper des MDR unter der Überschrift „Requiescat in pace“ innerhalb der Konzertreihe „Aufbruch und Ewigkeit“.
Chor und Sinfonieorchester des MDR unter der Leitung von Chefdirigent Kristjan Järvi hatten sich aber nicht für eine einzelne abendfüllende Requiem-Komposition entschieden, sondern stellten einem 1994 entstandenen, kompakteren Werk dieser Gattung des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür (geboren 1959) zwei spätromantische Stücke gegenüber, die nicht mit dem liturgischen Text operierten, sondern eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Gestalt des Todes boten. Arnold Böcklins berühmtes Gemälde „Die Toteninsel“ gerät durch Sergej Rachmaninows plastische Umsetzung in der gleichnamigen Tondichtung gleichsam in Bewegung.
Kristjan Järvi schuf sowohl in der Einleitung als auch in den am Schluss fast unauffällig aufscheinenden „Dies Irae“-Zitaten am Schluss eine sanft wogende Atmosphäre. In klaren dynamischen Grenzen musizierte er mit dem Orchester die Höhepunkte, so dass die Insel hier weniger den pathetischen Höllenanstrich bekam als vielmehr als phantastische Naturzeichnung wirkte.
Den großen Bariton Sergej Leiferkus, der just an der Semperoper in Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ brilliert, mit Modest Mussorgskijs „Liedern und Tänzen des Todes“ erleben zu dürfen – das kann man allein schon als besonderes Geschenk betrachten. Leiferkus ging völlig in der Partie auf und fand genau den Gänsehaut verursachenden Tonfall, mit dem der tanzende und singende Tod – unterstützt von Dmitri Schostakowitschs vorsichtig untermalender Instrumentierung – die Menschen umgarnt. Kristjan Järvi begleitete dies so behutsam, dass Leiferkus sich ganz frei entfalten konnte und alle Farben in den Strophen des Zyklus intensivst auskostete.
Mit einem „echten“ Requiem war dann nach der Pause ein perspektivischer Wechsel verbunden – statt der künstlerischen Betrachtung stand nun der innere Dialog mit den Worten der Totenmesse im Mittelpunkt. Erkki-Sven Tüürs Ansichten auf dieses Thema sind in einer extrem dem Ausdruck verpflichteten Musiksprache verfasst. Schmerz und Verlorenheit bilden sich in rotierenden Dissonanzen oder Clustern ab, Stärke und Zuversicht der Aussage finden zur Einstimmigkeit oder zu minimal changierenden Klangbildern – in solch einer „sprechenden“ Partitur konnte sich Kristjan Järvi sehr zu Hause fühlen und differenziert in der Aufführung selbst quasi „registerziehend“ mit Orchester und Chor arbeiten.
Gerade die „einfach“ wirkenden Abschnitte sind dabei in der Schwierigkeit der Ausführung nicht zu unterschätzen. Nur in wenigen Teilen, die im Orchester von bewegten Flächen dominiert waren (etwa im „Agnus Dei“), geriet der Chor etwas in den Hintergrund – die Kirchenakustik hilft einem solchen Stück leider nicht zu völliger Transparenz. Doch mit dem Raum ist der stets hervorragend artikulierende MDR-Chor (Einstudierung Bart van Reyn) gut vertraut und auch die beiden Soli wurden aus dem Chor heraus von Antje Moldenhauer-Schrell und Falk Hoffmann versiert vorgetragen. Interessant an Tüürs Werk ist nach dem „Dies Irae“ ein weiterer Höhepunkt am Ende des „Domine Jesu“ – der Übergang in die anderen Sphären des „Sanctus“ gerät hier als Rückschau auf das Chaos der vergangenen Welt. Dies zeigte eindringlich, dass der alte Text der Totenmesse in immer neuen Bildern interpretiert werden kann, das „komponierte Gedenken“ auch je nach Anlass und eigener Erfahrung neu und sehr anregend sein kann.
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