The Philadelphia Orchestra gastierte in der Semperoper
Nicht jeder hat die Möglichkeit, die Musikmetropolen der Welt zu besuchen, dafür laden die Dresdner Musikfestspiele jedes Jahr die Welt nach Dresden ein. Das perfekte Zusammenspiel der globalen Terminkalender bescherte dem Festival in diesem Jahr erneut ein Gastspiel eines der so genannten „Big Five“-Orchester aus den USA, dem Philadelphia Orchestra, das 2011 schon einmal zu einem Sonderkonzert im Kulturpalast gastierte.
Die Dresdner Musikfestspiele werben mit einer Worthülse für das Einzelkonzert: das Orchester wurde gleich zum „Residenzorchester“ ernannt – außer einem zweiten Konzert in Berlin, von dem die Dresdner nichts mitbekommen werden und das lediglich den Stempel der Musikfestspiele trägt, ist von einer Residenz aber nichts spürbar. Es die erste große Europa-Tour des Orchesters mit dem Kanadier Yannick Nézet-Séguin am Pult, der in Philadelphia seit 2012 als Musikalischer Direktor amtiert.
Reichlich sinnfrei war die Beschreibung eines neuen Werkes des US-amerikanischen Komponisten Nico Muhly (geb. 1981), das am Beginn des Konzertes stand. Kein Wort war im Programmheft über Idee und Inhalt von Muhlys „Mixed Messages“, das einige Tage zuvor in Philadelphia uraufgeführt wurde, zu lesen. Man lernt stattdessen, dass Muhly „bestens im Geschäft“ und der „heisseste Komponist des Planeten“ sei. [Mehr erfährt man im New Yorker online] Dermaßen niedergeschraubte Hörerwartungen bestätigten sich: ein aus Versatzstücken von Béla Bartók bis John Adams (zu) flott zusammengeklebtes Werk erzeugte einen Eklektizismus, der Intellekt und Gefühl gleichermaßen kalt ließ. Nézet-Séguin und sein Orchester zeigten mit sehr engagierter Interpretation, dass man sich in solchen den Effekt in den Vordergrund stellenden Klangwelten zu Hause fühlt – die „Botschaft“ indes war angesichts vor sich hin klingelnder Patterns in Streichern und Schlagzeug kaum zu entschlüsseln.
Bei Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll, das mühelos die Zeiten überdauert hat, liegt der Fall anders. Hier liegen viele emotionale Welten dicht beieinander, durchdringen und überlagern sich, sodass Pianist und Dirigent sorgsam mit Dosis und Balance umgehen müssen. Der erst 20jährige kanadische Pianist Jan Lisiecki, der 2012 schon mit einem Recital bei den Musikfestspielen begeisterte, entfachte mit seiner klaren und kraftvollen Interpretation in der Semperoper Beifallsstürme.
Unprätentiös, überlegt und mit staunenswerter Detailgenauigkeit ging Lisiecki zu Werke und fand in allen drei Sätzen eine bis in nur vordergründig unauffällige Passagen hinein überzeugende Darstellung. Trotz äußerlicher Ruhe verströmte Lisiecki eine alle Motive zu großer Spannung verbindende Energie in seinem Spiel, die das Philadelphia Orchestra ansteckte und zu zu lichtem und partnerschaftlichem Spiel verleitete – hier waren unglaubliche Momente zu vernehmen, wie etwa das zauberhafte Verklingen des 2. Satzes.
Das Nocturne op. posth. von Chopin war dann nicht eine bloße Zugabe, sondern von Lisiecki luzide zu einer Kostbarkeit geformt – mit andächtiger Stille im Opernrund. Hier konnte man gut beobachten, zu welcher Reife und Selbstverständlichkeit Lisiecki gerade bei Chopin bereits gelangt ist: Form, Bewegung, Anschlag bildeten eine Einheit, die sich in natürlichem Ausdruck niederschlug. In die Chopin-Noten wird nicht irgendetwas hineinzelebriert („guck mal, Chopin!“), sondern Lisiecki schafft es, die Musik selbst sprechen zu lassen, solche fast von Demut geprägten Hörerlebnisse sind rar.
Energiegeladen ging es nach der Pause weiter: Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie e-Moll ist ein willkommenes Bravourstück für jedes Orchester. Es gibt sicherlich Interpretationsansätze, die sehr tiefgründig sein können und vor allem die nachdenklich-zweifelnden ersten drei Sätze mit Priorität behandeln. Ebenso zulässig ist aber auch ein musikantisch zu nennender Zugang, der die Themen zum Leuchten bringt und das Stück schlicht als sinfonisches Meisterwerk zelebriert. Letzteres war der Fall – man konnte in allen vier Sätzen perfekt im gerühmten, von Leopold Stokowski begründeten „Philadelphia-Sound“ schwelgen und das Staunen neu lernen.
An den berückenden Soli von Klarinetten und Hörnern, am butterweichen und im forte obertonreichen Streichersound mochte man sich kaum satthören. Etwas herausstechend war der Oboenklang, was wohl am Instrument lag, hingegen klang das Blech überraschend warm und gar nicht spitz, wie man es vielleicht als Vorurteil des amerikanischen Klangideals unberechtigterweise im Kopf hat.
Faszinierend war zu beobachten, wie exakt und trotzdem klangfarblich flexibel das Orchester auf Nézet-Séguins Zeichen reagierte und kleinste aus dem Moment heraus entstehende Veränderungen umsetzte, insbesondere Binnencrescendi und -decrescendi gelangen da organisch und sorgten so für einen diskreten Fluss des Werkes. Diese gegenseitige Inspiration tat Tschaikowsky gut, denn Nézet-Séguin überspannte in Tempo und Dynamik nie den Bogen. Tutti-Passagen kamen homogen und keinesfalls dröhnend über die Rampe. Zwingend und mit nie ermüdender Motivationsgabe an seine Musiker arbeitete sich Nézet-Séguin zum jubelnden Finale vor: „The Philadelphia“ erntete brausenden Jubel und stehende Ovationen. Dass sich Nézet-Séguin freundlich vom Publikum mit dem Satz „Bis Dienstag in Berlin“ verabschiedete, war sicher auf das bevorstehende dortige Konzert gemünzt – ein Augenzwinkern in Richtung Philharmoniker war aber legitim und zeigte auch, dass es Nézet-Séguin keinerlei Sorgen bereitet, wann auch immer in Berlin anzukommen – mit diesem Orchester ist er ohnehin überall willkommen.
(26. Mai, ergänzt)
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