Haydn, Dutilleux und Beethoven mit dem Quatuor Ebène bei den Musikfestspielen
Haydn, Beethoven? Kennen wir, klar. Immer wieder schön. Doch weit gefehlt. Würde man diese und andere Komponisten auf das Bekannte, Bequeme, auf der Straße Pfeifbare redudzieren, so wird man nicht nur den Komponisten nicht gerecht, uns würde auch schnell langweilig. Der kleine Kritiker im Ohr der Zuhörer möchte aber doch „seinen“ Haydn hören – der erinnert sich doch immer wieder, wie wohlgeformt er bereits geklungen hat. Und dann kommen da vier junge, smarte Männer mit Streichinstrumenten auf die Bühne und bringen den Nörgler im Ohr erstmal zum Schweigen.
Das französische Quatuor Ebène, das bei den Musikfestspielen im Konzertsaal der Musikhochschule auftrat, schaffte es mühelos, Altes neu wirken zu lassen und gleichzeitig mit fast kindlicher Naivität an die verschiedenen Streichquartettsätze heranzugehen wie auch mit klarem, unerschütterlichen Plan von Entwicklung und Klangfarbe die Kompositionen zu vergolden. Das ging gleich bei Joseph Haydn los – der wurde nicht gespielt, sondern gefeiert. Und zwar für seine geniale Kompositionskunst, den vier Stimmen des Quartetts nicht nur allerhand Material für Kurzweil an die Hand zu geben (wofür das „Kaiserquartett“ ein herausragendes Beispiel ist), sondern eben auch eine freiheiliche Interpretation zu ermöglichen.
Im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft kann durchaus erwogen werden, die aus dem 2. Satz hervorgegangene deutsche Nationalhymne im Radio vor dem Tageswechsel künftig von Ebène spielen zu lassen. Frappierend war in diesem Satz vor allem, wie einfachste Harmoniewechsel in kongenialer Verbindung der vier Spieler immer neue Farbnuancen bildeten. Keine noch so kleine Kadenz wurde ausgelassen, und vor allem das im Tempo ernstgenommene Presto-Finale bot dem Ensemble reichlich Möglichkeiten zur Kontrastbildung zwischen bewusst verkünsteltem „alla barocca“ und nachdenklichem Innehalten.
Auf diesem hohen Niveau ging es weiter: der Komponist Henri Dutilleux (1916-83) wäre sicher entzückt von der traumhaft sicheren, impressionistisch zeichnenden Interpretation seines Quartetts „Ainsi la Nuit“ gewesen. Vor allem das gekonnte Wechselspiel zwischen Höchstspannung/Drama und völliger Zurücknahme führte zu wundersamen Höreindrücken – diese Nacht war keine deutsche Eichenwaldnacht, sondern eine poetische Zwischenwelt – mit lauter Elfen und Fabelwesen und ab und an auch einigen Abgründen und Traummonstern.
Zum bejubelten Höhepunkt geriet nach der Pause die Aufführung des a-Moll-Quartetts Opus 132 von Ludwig van Beethoven. Mit den späten Quartetten des Meisters befassen sich Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure (Violine), Adrien Boisseau (Viola) und Raphael Merlin (Cello) schon längere Zeit intensiv. Ein äußerst dichter, von viel legato und ineinanderfließenden Übergängen bestimmter Gesamtklang, der denkbar weit entfernt von den manchmal knochentrockenen Interpretationen deutscher Quartette der letzten Jahrzehnte war, beherrschte die Aufführung, und das war – hatte man sich einmal an die Wahl des Farbstiftes gewöhnt – erstaunlich schlüssig. Von dieser Basis aus gelang der 2. Satz fast romantisch zu Schubert herüberwinkend, und die Hymne an dritter Stelle war das erreichte Gipfelplateau, bei der eine so spannungsgeladene Ruhe zelebriert wurde, dass danach ein Ruck im Publikum spürbar war: erstmal durchatmen. Diese nur irre zu nennende Atmosphäre wurde bis zum Finale durchgehalten, danach nahmen sich die vier erleichtert in den Arm und – gut so – verabschiedeten sich ohne Zugabe. So klang das Beethoven-Quartett lange nach, und Ebène demonstrierte mit diesem Konzert eindrucksvoll, dass es mit seinen kreativen und intensiven Darbietungen eindeutig in die erste Liga der Streichquartettformationen gehört – Champions League, mindestens.
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