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Schmerzliche Nostalgie und Fragezeichen

Elgar und Schostakowitsch zur Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie

Eine in in Töne gesetzte, nachdenkliche Rückschau auf eine vergangene Ära, auch auf Krieg und Unterdrückung, verband die beiden Werke des Saisoneröffnungskonzertes der Dresdner Philharmonie im Albertinum am vergangenen Wochenende. Trotzdem liegen Welten zwischen dem 1919 entstandenen Cellokonzert von Edward Elgar und der 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, im Todesjahr Stalins 1953 entstanden. Beide Werke – hier das unbestritten auch durch Interpretinnen wie Jacqueline du Pré bekannteste Cellokonzert des frühen 20. Jahrhunderts, dort die mit den Initialen D-Es-C-H offen und gleichzeitig verstörend daliegende Bekenntnismusik – konnten vor allem durch eine jeweils herausragende Interpretation nebeneinander bestehen.

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta, Artist-in-Residence dieser Saison bei der Dresdner Philharmonie, ließ vom ersten Ton an keinen Zweifel daran, dass dieses Konzert eine schmerzlich-nostalgische Komponente birgt, die Gabetta mit vollem Klang der kantablen Linien hervorbrachte: dunkelgrau und warm in der Tiefe, und deutlich formulierend, aber niemals grell in der Höhe. Zwei Ausnahmequalitäten in Gabettas Spiel erzeugten eine große Spannung über alle vier Elgar-Sätze: da ist zum einen ihre imponierende Palette klangfarblicher Register, die sie in den accompagnati im Dialog mit dem Orchester hervorzauberte, zum anderen ein unaufgeregter Atem, mit dem sie die richtige Zeit für einen großen Melodiebogen findet. Fast fremdartig, wenngleich von Gabetta völlig mühelos bewältigt, wirken bei diesem emotionalen Höhenflug hingegen die virtuos-trubeligen Passagen im zweiten und vierten Satz, doch hier ist maximal Elgar selbst zu kritisieren, dessen sorglose Ornamentik einige Male für Verwirrung im Stück sorgt.

Die reife, klangsatte Interpretation von Sol Gabetta wurde vom Orchester unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling sehr kontrolliert begleitet, die Priorität von Aufmerksamkeit und Präzision war fast ein wenig zu viel spürbar, doch so konnte die Solistin sich vertrauensvoll und frei entfalten. Mit Pablo Casals „El cant des ocells“ (Der Gesang der Vögel) beantwortete sie den großen Applaus und versicherte sich einer stimmungsvollen Begleitung durch die Cellogruppe der Philharmonie.

Dmitri Schostakowitschs Sinfonien spielen in den Programmen Sanderlings eine große Rolle – nicht nur wegen einer starken persönlichen Affinität. Man spürte auch an diesem Abend deutlich, wie die wiederholte Annäherung an diese Partituren die Philharmoniker zusammenschweißte, wie Verständnis und Klangartikulation eine nur mehr staunenswerte Kompetenz bildeten. Sanderling beließ es nicht bei Details (und selbst die sind aufregend, wie etwa die hier klasse gestalteten Soli der Fagottgruppe), sondern erfasste die ganze zehnte Sinfonie in ihrer spezifischen Art. Dazu gehört eine Atmosphäre des „zu schön, um wahr zu sein“, die er mit ahnungsvoller Natürlichkeit im ersten Satz ausbreitete. Der zweite Satz jagte ohne jeglichen Gedanken an ein Zurück vorbei, dieser Aufschrei – auch das gelang überzeugend – kann nicht in stechender Präzision daherkommen.

Flüssig und mit deutlicher Zeichnung einer pastosen Zwischenwelt nahm Sanderling den dritten Satz, das Finale hingegen hat eine zwingende Kraft, wobei die stärksten Momente aber nicht im Schluss lagen, sondern in dem musikalische Fragezeichen aufstellenden Übergang zwischen Andante und Allegro. Dass ein solches Werk Spuren hinterläßt, wurde deutlich, als Sanderling sich beim donnernden Schlussapplaus zum Publikum umdrehte: ein leichtes Entsetzen war noch in seinem Gesicht geschrieben – Zeichen für eine bedingungslose Hingabe an dieses Werk, Schichten hervorholend, die keineswegs zum Zurücklehnen einladen, sondern Teilnahme und Nachvollzug erfordern. Dieser Anspruch macht sehr gespannt auf die reichhaltige neue Konzertsaison.

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