Gustav Mahlers 6. Sinfonie a-Moll im 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle
Sicher, dieser Sonntagvormittag im September besaß – zumindest vor dem Konzertbeginn um elf Uhr – einen anderen, lichteren Grundklang und man benötigte eine gewisse Offenheit, um im Konzert einem Werk wie der 6. Sinfonie von Gustav Mahler zu begegnen, die einem schonungslos in vier Sätzen in Musik gegossene Abgründe menschlichen Daseins präsentiert – auch 109 Jahre nach der Uraufführung ist die Modernität und Emotionalität dieses Werkes schon nach wenigen Takten evident. Dennoch erklärt dies nicht die etwas gelichteten Reihen beim 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, über die man sich nur wundern muss.
Der Erste Gastdirigent des Orchesters, der koreanische Dirigent Myung-Whun Chung, setzte mit der Sechsten seinen über mehrere Jahre angelegten Mahler-Zyklus fort und schuf auswendig dirigierend eine nachhaltig bewegende Interpretation. Nach der 4. Sinfonie in der letzten Saison hätte man vermuten können, auch dieses Werk bekäme von Chung einen weltlich-gnädigen Tupfer, doch hier regieren andere Mächte: der zwingende und energische Beginn Chungs mit dem Marsch-Thema des 1. Satzes legte die Gangart für die gesamte Sinfonie fest. Flexibilitäten im Tempo erlaubte sich Chung nur auf der Basis des einen großen Zusammenhang stiftenden, stets leicht nach vorne drängenden Grundtempos. Die wenigen piano-Stellen des 1. Satzes mit ihrer Kuhglocken-Fernwelt erreichten so einen hohlen, von bizarrer Einsamkeit geprägten Ausdruck.
Gerade die klangfarbliche Ebene spielt in der 6. Sinfonie eine besondere Rolle, und Chung schaffte es hier und in dem an zweiter Stelle platzierten Scherzo, mit den spielerischen Qualitäten der Kapellmusiker vor allem die scharf geschnittenen Übergänge zwischen gegensätzlichen Stimmungswelten wie Marsch und Ländler überzeugend zu zeichnen – die beiden ersten Sätze wirkten so wie aus einem Guss und gleichermaßen kraftvoll wie unglücksahnend. Eine Sonderstellung nimmt im Werk und auch in Chungs Interpretation der 3. Satz ein. Sorgsam wurden in diesem Andante Moderato die Streicher geführt; warme und dunkle Farben überwogen in diesem nicht beruhigenden, sondern eher gedanklich wegschweifendem Satz, den Chung in den Höhepunkten im letzten Drittel zu einem in einem einzigen Bogen schwingenden ernsten Gesang ausformte. Die hier zu bewundernde Homogenität des gesamten Ensembles wurde zu einem Höhepunkt der Aufführung und von Chung auch bewusst geformt als kantable, dennoch mit schmerzlichem Ausdruck versehene Insel innerhalb der sinfonischen Höllenfahrt.
Letztere wurde mit dem Finale fortgesetzt, das eine Geröllwüste aus musikalischen Fetzen aller Sätze darbietet. In der Rezeption ist dieser Satz wie die ganze Sinfonie bis heute mit teils wunderlichen Geschichten aus Mahlers Psyche, philosophischen Exkursen und Deutungen umgeben, um am Ende doch bei der Musik selbst und der schlichten Frage, was ihn da bloß geritten hat, zu landen – das Ende aller Deutungsversuche scheint erreicht, die Musik ist ohnehin wichtiger, sie bohrt sich ins Ohr. Neben der Satzreihenfolge, die Mahler selbst länger beschäftigte, wird auch die Diskussion über die Anzahl der Hammerschläge im letzten Satz mit jeder neuen Aufführung fortgesetzt. Chung entschied sich für die Version mit dem dritten, „vernichtenden“ Schlag in der Coda – andere Dirigenten bevorzugen zwei Hammerschläge, aus Urschriften werden gar fünf herauszitiert. Doch weniger als Chiffren und Rätsel zeigte Chung den Zuhörern schlicht das sinfonische Meisterwerk, das offen vor uns liegt und in kompromissloser Konsequenz sowie mit blitzartiger Aufmerksamkeit von den Kapellmusikern umgesetzt wurde. Gewohnt bescheiden und freundlich seinen Musikern dankend, nahm Chung nach diesem viele Dimensionen sprengenden Werk einen sehr verdienten, großen Applaus entgegen.
Kommentaren