Opera Spaziale „Copernicus“ von Oliver Korte in Hellerau uraufgeführt
Der Astronom Nikolaus Kopernikus tat vielleicht gut daran, erst kurz vor seinem Tod 1543 seine Schrift „Über die Umläufe der Himmelskreise“ zu veröffentlichen, nicht nur, weil einige Gedanken zu der Zeit noch hypothetischer Natur sein mussten, sondern weil ihm möglicherweise die Erschütterung des bis dahin vorherrschenden geozentrischen Weltbildes bewusst war. Galileo, Kepler und Newton setzten die naturwissenschaftlichen Annahmen fort, mittlerweile untersuchen wir schwarze Löcher und Unendlichkeiten.
Und immer noch enthält uns das Universum viele Antworten vor. Der Ansatz der neuen Oper von Oliver Korte, die am Sonnabend von den Landesbühnen Sachsen in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt wurde, liegt aber vor allem in der Gemengelage der Wissenschaften in der Renaissance, in der sich Geistes- und Naturwissenschaften durchdrangen und von verschiedenen Anknüpfungspunkten aus eine Neuzeit proklamiert wurde, deren Dynamik bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat.
Weniger als retrograde Renaissance-Oper gemeint konzentrierte sich Oliver Korte auf himmlische Sphären und den Statements großer Denker dazu: seine „Opera Spaziale“ nimmt den Raum wörtlich: als Himmelsraum, als Gedankenraum, als musikalischen Raum. In der zweistündigen, fünfaktigen Darstellung beeindruckte die konsequente Umsetzung dieses Ansatzes. Das Orchester nimmt elliptisch um das Publikum angeordnet planetäre Aufgaben war, die Bläser werden gar zu Wandelsternen und tönen mal von Nordost, mal von Südwest. Eine Handlung findet nicht statt, vielmehr stellt Korte Kopernikus‘ Thesen im ersten Akt in den – wörtlichen – Raum und konfrontiert sie mit den Folgen.
Eine wesentliche Problematik des Stückes entsteht daraus, dass Korte in fast allen Akten das Publikum mit einer wenig reflektierten und auch kaum bearbeiteten Textmasse konfrontiert, die zwar einen netten Renaissance-Bilderbogen mit Einschüben von Shakespeare über Einstein bis zu Thomas Bernhardt anbietet, aber den Zuhörer ansonsten hoffnungslos alleine läßt. Man vergräbt sich gleichsam einen Abend lang in einer riesigen Bibliothek weiser Worte aus allen Zeiten, die Korte dann auch noch dupliziert: Was der Sänger lateinisch singt, wird deutsch nachgesprochen. Ein tieferer Sinn dieser Untertitelung ergibt sich nicht. Szenisch werden die von Korte sorgsam angebotenen kompositorischen Formen auch nicht gerettet.
Jan Michael Horstmann dirigiert sonnengleich vom Zentrum aus die hervorragend musizierenden Elblandphilharmonie-Himmelskörper und hat auch die Regie übernommen. Doch die beiden Gesangssolisten (Stephanie Krone und Kazuhisa Kurumada mit überzeugend dargebotenen, umfassenden Hauptpartien) muss mit Sprechern (Sarah Bauer, Utz Pannike, Manuel Schöbel) und Chorquartett ein ums andere Mal in der Mitte der Bühne um Laute, Harfe und Dirigent auf einem engen Podest herumschleichen, um Pest, Inquisition, Liebesduett und Madrigal zu deklamieren. Handlung, Geste und Bedeutung wurde dem Stück immer wieder aufgepfropft, wo man sich doch als Zuhörer eigentlich irgendwo in den Textblättern so schön seltsam verloren findet und eine traumwandlerische, zutiefst künstlerische Abstraktion dieser vielen Überlegungen und Prophezeiungen viel mehr dran wäre als ein bemühtes Theaterspiel.
An den Wänden laufen dazu Videos, besser: es ist eine Art uninspiriertes VJing, was erst im 5. Akt mit dem Sphärenhimmel der Villa Stuck eine gewisse phantastische Ebene erreicht – davon, und vor allem von Gefühl, Visionen und einer Botschaft kam zu wenig an. Trotz der wandelnden Bläser herrschte durchweg eine Arbeitsatmosphäre, und wenn im Text von Blut die Rede war, kam der rote Scheinwerfer zum Einsatz. Die visuellen Möglichkeiten blieben in Hellerau seltsam ungenutzt, und es entstand der Eindruck, dass der wohl immense musikalische Aufwand der Vorbereitung bei anderen Ebenen zu zu einfach gedachten Lösungen führte. Wegträumen durfte man sich hingegen bei Kortes teilweise kongenial komponierter Musik, etwa dem Madrigal (Antje Kahn, Patrizia Häusermann, Peter Diebschlag und Bojan Heyn) zur Inquisition des Giordano Bruno am Ende des vierten Aktes. Manches ist in Kortes Musik polystilistisch, erinnert an Messiaen oder Schostakowitsch, bekommt aber eine starke eigene Handschrift, weil Korte sich in den durch das Thema vorgegebenen Formen diszipliniert und dadurch spannende Raum-Musiken erfindet, die die Musiker höchst aufmerksam im ganzen Saal verteilt umsetzen.
Wenn Korte die Musik am Ende in pulsarisches Pochen auflöst (und selbst die akustischen Signale der Mondlandung erscheinen im Kontext historistisch), verschwinden all die in Jahrhunderten mit großen Gedanken erstellten schweren Bücher, Pamphlete und Thesen im All. Eine plausible, schöne Vorstellung, die uns aber das weitere Nachdenken nicht nehmen sollte. Allein das 21. Jahrhundert, die Gegenwart, blieb in dieser vornehmlich akademisch wirkenden Himmels- und Erdenschau seltsam unberücksichtigt – vielleicht sind die Kopernikusse unserer Zeit rar geworden?
Weitere Termine: 9., 10.10., 5. und 6.3. -> Hellerau
Kommentaren