Uraufführungen von Doina Rotaru und Violeta Dinescu im Sinfonietta-Konzert
Bei der Fülle an Musik auf dieser Welt erscheint es seltsam, dass sich in den Konzertsälen ein Kanon mitteleuropäischer Musik herausgebildet hat, bei dem nur selten – und dann meist mit dem wörtlich zu nehmenden Begriff des Außergewöhnlichen einhergehend – Grenzen gesprengt und Horizonte erweitert werden. Für das Ensemble Sinfonietta Dresden ist das Besondere selbstverständlich – seit Jahren erkunden die Musiker nicht nur die zeitgenössische Musik in unserer direkten Umgebung, sondern widmen sich auch den musikalischen Landschaften in Osteuropa. Innerhalb der Reihe KlangNetz-Konzertreihe „An die Freunde“ kam es am Donnerstagabend in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum zu einer intensiven Begegnung mit der Musik in Rumänien.
Sinfonietta Dresden beschränkte sich nicht auf die bloße musikalische Darbietung – die beiden rumänischen Komponistinnen Doina Rotaru und Violeta Dinescu steuerten je eine Uraufführung bei und standen auch vor und nach dem Konzert zum Gespräch zur Verfügung – dazu lud Dirigentin Judith Kubitz am Ende des Konzertes zu rumänischem Rebensaft ein. Das war am Ende eine willkommene Abrundung eines musikalischen Abends, der sich auch musikalisch vollmundig und apart gab: George Enescus in seiner radikalen Einstimmigkeit einzigartiges „Prélude à l’unisson“ aus dessen 1902 entstandener 1. Orchestersuite rahmte das Konzert, im Mittelpunkt stand Debussys berühmtes „Prélude à l’après-midi d’un faune“ (1894) – Stücke, die für die beiden rumänischen Komponistinnen, die derselben Generation angehören, einen besondere Rolle in ihrem Schaffen spielen.
Doina Rotaru (*1951) lebt noch heute in Bukarest, während Violeta Dinescu (*1953) in den 80-er Jahren nach Deutschland übersiedelte. Was alle Kompositionen einte, war eine faszinierende Farbigkeit und Sinnlichkeit im Umgang mit sehr verschiedenen Orchesterbesetzungen – von der aus Bautzen stammenden Dirigentin Judith Kubitz wurde das höchst sorgfältig und mit viel Lebendigkeit zu überzeugendem Klangcharakter angeleitet. Doina Rotarus Ensemblestück „Centrifuga“ etwa verlor auf diese Weise nie den leichten, spielerischen Charakter im Umgang mit Geschwindigkeiten und rotierenden Rhythmen.
Violeta Dinescus „Akrostichon“ hingegen bildete sofort einen Kontrast in einer fast episch zu verstehenden, zerklüfteten und auch zeitlich gedehnten Klanglandschaft, deren Zusammenhang sich schwieriger erschloss. Stetig sah man sich mit neuen Tongebirgen konfrontiert, in der die phantasievoll auskomponierte Klangfläche dominierte. Wiederum erfrischend anders gab sich Dinescus Filmmusiksuite zu Friedrich Wilhelm Murnaus „Tabu“ als Beweis, dass sich zeitgenössisches Musikdenken und eine handwerklich sauber zu absolvierende Begleitmusik nicht ausschließen. Im an Höhepunkten reichen Konzertabend war das in seinen Zeitmaßen sehr kompakt komponierte Klarinettenkonzert von Doina Rotaru „Fragile II“ eindrucksvoll in einer stark emotionalen Interpretation, die vom Solisten Emil Visenescu ausging und sich sofort auf das feinsinnig musizierende Ensemble übertrug.
Danach hatte es Enescus wiederholtes „Prélude“ leicht und klang plötzlich ganz anders als bei der ersten Runde: Was zu Beginn noch neu und fremd war, klang auf den gleichen Saiten gespielt anderthalb Stunden später viel vertrauter. Man hatte Freundschaft geschlossen mit der erfindungsreichen, den Melos und die eigene Tradition nie vergessenden rumänischen Musikkultur.
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