Musikprojekt „Mekomot – Orte“ gastierte mit Uraufführungen in der Neuen Synagoge Dresden
Ein außergewöhnliches Musikprojekt befindet sich seit Anfang Oktober auf einer Reise durch Mitteleuropa: „Orte – Mekomot“ erkundet ehemalige und neue Synagogen in Deutschland und Polen und möchte diese Orte nicht nur in Erinnerung rufen, sondern sie auch mit neuer Musik erschließen, die eigens für das Projekt von fünf jüdischen Komponisten geschrieben wurde. Beziehungsreich und ungewöhnlich ist dieser Zugang, der aber für Besucher und Zuhörer viele Türen öffnet: zur jüdischen Kultur allgemein, zur Auseinandersetzung mit Tradition und Gegenwart, mit Sprache, Gottesdienstgebräuchen und vielem mehr.
Am Dienstag traf „Mekomot“ zu seinem bereits dritten Konzert in der Dresdner Synagoge ein. Dieses Haus ist eine der wenigen neu gebauten und aktiven Synagogen in Deutschland, an anderen Orten sind die 1938 in der Pogromnacht zerstörten Gebäude anderen Nutzungen zugeführt worden oder bestehen als Mahn- und Gedenkmal und Begegnungsstätte. Eingebettet in die 19. Jüdische Woche Dresden fanden sich viele interessierte Zuhörer ein, die diese Inklangsetzung des Gottesdienstraumes miterlebten. Da alle Werke exklusiv für das Projekt entstanden und zudem ein Kantor (Assaf Levitin – der in beeindruckender Weise auch umfangreiche Gesangsaufgaben in den neuen Stücken bewältigte) mit dem Nachmittagsgebet „Minchah“ im Synagogalgesang die Stücke einrahmte, entstand trotz der unterschiedlichen Handschriften ein gemeinsamer, intensiver Ausdruck.
Eine internationale Schar hervorragender Musiker hatte sich zusammengefunden, das Instrumentalensemble selbst war an den schon in der Bibel erwähnten Instrumenten ausgerichtet. Dies schuf einen spannenden Klangraum einer Archaik, die zeitenumspannend in ihrer großen Achtung der kulturellen Wurzeln erschien. Gleichzeitig werden die Musiker auf ihrer „Mekomot“-Reise viele unterschiedliche Räumlichkeiten erfahren und die – gleichen – Stücke so auch jedes Mal anders interpretiert werden und widerhallen. Bnaya Halperin-Kaddaris „El“ setzte sich zu Beginn mit den Namen Gottes auseinander, drei Widderhörner (Schofar) formten den Nachhall dieser litaneiartigen Anrufung. Eres Holz beschäftigte sich mit dem Kaddisch-Gebet und setzte dem die Fassung des Amerikaners Allen Ginsberg gegenüber – Trauer als Grundzustand brach sich hier in einer nur als – authentische – Zumutung empfindbaren Klangeruption Bahn und ließ den Zuhörer einigermaßen atemlos zurück. Einen völlig anderen Zugang wählte Amit Gilutz, der den vierten Satz aus der 3. Sinfonie von Gustav Mahler Angela Merkels umstrittenen Äußerungen bei der Begegnung mit einem Palästinenserkind in Rostock im Juli 2015 unterlegte. „O Mensch gib acht!“ contra „Politik ist manchmal hart“ – dieser kompositorisch absichtsvolle Auffahrunfall war gelungen.
Amir Shpilman steuerte dann eine sinnliche Komponente mit „Resisim“ bei, Zerbrochenes und Fragmentarisches in der Komposition wies in unterschiedlicher Beleuchtung des Gegenstandes eben auch auf Reste, auf „Verwertbares“ oder neues Wachstum hin. Schließlich äußerte sich Sarah Nemtsov, gleichzeitig künstlerische Leiterin des Projektes, in einer Auseinandersetzung mit dem „Ashrei“-Gebet, einer Lobpreisung, die aber hier in rhythmisch entfesselter Art gebrochen erscheint. Das Stück war ein Lebenstanz, der für eine wechselvolle jüdische Geschichte ebenso stehen mag, wie für die Hoffnung, aus dem Neuen und Neuartigen Zukunft keimen zu lassen.
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