Silvesterkonzert der Staatskapelle Dresden mit Lang Lang und Christian Thielemann
Ernst, Gediegenheit und Anspruch: was man der klassischen Musik oft nachsagt, ist zumindest an einem Tag des Jahres widerlegbar. In den allenorten stattfindenden Silvesterkonzerten werden, wenn nicht gerade dem Ritus der Aufführung der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven gehuldigt wird, bunte Programme aufgelegt, die der leichten Muse innerhalb der Klassik huldigen oder auch einen Grenzgang wagen, in jedem Fall aber bestens unterhalten. Dieser Maxime geht auch Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle seit Beginn seiner Amtszeit in Dresden nach – die vom ZDF regelmäßig ausgestrahlten Silvesterkonzerte sind Chefsache.
In diesem Jahr machte Thielemann chronologisch etwa dort weiter, wo er vor zwei Jahren endete: nach den Roaring Twenties waren nun die amerikanischen Fifties dran, die natürlich ohne die Vorarbeit von George Gershwin nicht denkbar sind. Im von Kamerakränen und Scheinwerfern dominierten Ambiente gab es in der Semperoper aber zu Beginn erst einmal einen klassischen Ausflug nach Norwegen: der weltweit gefeierte chinesische Pianist Lang Lang spielte Edvard Griegs 1868 entstandenes Klavierkonzert a-Moll. Einen anderen Grund, als den Starsolisten, der später noch einen zweiten Auftritt mit George Gershwins „Rhapsody in Blue“ erhielt, angemessen in Szene zu setzen, gab es wohl nicht für diesen Programmpunkt und es ist auch besser, diese Darbietung schnell zu vergessen.
Wie Intensität ohne exzentrische Übertreibung ein musikalisches Hochgefühl erzeugen kann, machte die Staatskapelle in der Einleitung zum zweiten Satz fabelhaft vor. Lang Lang fand diese Grenze allerdings nicht, wichtiger als das Klavierspiel schien alles Drumherum zu sein. Seine körperlichen Gebärden kindlichen Entdeckens eines Harmoniewechsels, der natürlich im großen Ritardando zelebriert sein muss, wirkten kurios, und in der Aneinanderreihung von maßloser Akzentsetzung, Unterteilung von Takten in zwei verschiedene Tempi und Untermauerung der Großartigkeit der Musik mit Fußtritten im Forte verzerrte sich das im komponierten Satz übrigens auch nicht beherrschte Konzert zur Karikatur. War hier die Dosis des Ausdrucks mit permanentem Überdruck versehen, vermisste man diesen ausgerechnet in Gershwins „Rhapsody in Blue“. Zwar packte Lang Lang hier nun eine gewisse Lässigkeit aus, doch die Virtuosität wirkte ausgestellt und bediente vorrangig die Ebenen von Geschwindigkeit und Pathos, wodurch das beim Zuhörer mitwippende Bein ein ums andere Mal in unerklärlichen Schleuderkurs geriet.
Merkte man schon in der Orchesterbegleitung der „Rhapsody (selbstverständlich mit fulminantem Klarinetten-Solo zu Beginn!), dass die Staatskapelle an diesem Abend ausnehmend gut aufgelegt war, so geriet der weitere Fortgang des Konzertes, insbesondere in den Bernstein-Stücken aus „On the Town“ und „Wonderful Town“ zu einem tollen orchestralen Klangrausch. Zwar merkte man im Detail die Zerrissenheit manches Musikers, als Mitglied eines Spitzenorchesters die broadwaytypischen „dreckigen“ Harmonien und Rhythmen voll auszukosten, doch Thielemann gelang diese Gratwanderung und vertraute dem Können seiner Musiker. Die israelische Mezzosopranistin Rinat Shaham und der US-amerikanische Bariton Lucas Meachem – letzterer wird den Dresdnern 2016 in der Premiere von „Don Giovanni“ wiederbegegnen – vergoldeten schließlich bekannte Songs wie „As Time Goes By“ oder „Lady be Good“ mit sängerischem Feingefühl; hier stand nicht opernhafte Selbstinszenierung, sondern musikalischer Esprit im Vordergrund, so dass man als Zuhörer nur noch schwelgen durfte.
Ein bewegender Moment entstand, als Meachem in Cole Porters „I love Paris“ ein kleines Tuch mit der französischen Flagge an sein Herz drückte – es brandete spontaner Applaus auf, und bei aller üblichen und zulässigen Ausgelassenheit am Jahresende fand diese Geste der Freundschaft und des Gedenkens ebenso auch wie das im Programmheft auf einer Sonderseite abgedruckte Bekenntnis des Orchesters zu den in der Schillerschen „Ode an die Freude“ ausgedrückten Idealen des Humanismus und der Mitmenschlichkeit einen angemessenen Platz.
(2.1.2016)
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