Pierre-Laurent Aimard mit dem „Catalogue d’Oiseaux“ von Olivier Messiaen bei den Musikfestspielen
Bereits Claude Debussy befand, dass es „nichts Musikalischeres als einen Sonnenuntergang gebe“ – schon vor ihm hatten sich Komponisten immer wieder mit der Darstellung der Natur befasst. Kaum einer ist aber so akribisch vorgegangen wie der Franzose Olivier Messiaen (1908-92), zu dessen lebenslangen Passionen die Vogelkunde gehörte, die spätestens ab den 40-er Jahren in viele seiner Werke einging. Seiner Frau Yvonne Loriod, einer hervorragenden Pianistin, und „den Vögeln Frankreichs“ ist der umfangreiche und exorbitant schwierige Klavierzyklus „Catalogue d’oiseaux“ gewidmet – komplette Aufführungen dieses fast dreistündigen Werkes sind eine absolute Rarität schon allein deswegen, weil die Beschäftigung mit dieser Musik für den Interpreten eine ebensolche Passion darstellen muss, von den technischen Fähigkeiten ganz zu schweigen.
Der Franzose Pierre-Laurent Aimard ist eine Kapazität auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik und begeisterte bereits 2012 mit einem Ligeti-Konzert bei den Musikfestpielen. Aimard arbeitete intensiv mit Olivier Messiaen zusammen und studierte bei Yvonne Loriod, die den „Catalogue d’Oiseaux“ 1959 erstmalig vollständig aufführte. Der Konzertabend im Großen Garten am Pfingstsonntag begann schon einzigartig, da Aimard es sich nicht nehmen ließ, vor dem pianistischen Marathon auch noch eine brillante Konzerteinführung zu halten. Eine Besonderheit waren die 13 Präludien des Komponisten Bernard Fort, die den Stücken vorangestellt waren. Eine erste Sorge, die Komponente der elektronischen Musik würde von den naturalistischen Forschungen Messiaens zu sehr ablenken, erledigte sich umgehend, da Fort in äußerst sensibler Weise lediglich die Vogelarten der einzelnen Stücke in behutsam zusammengefügten Originalaufnahmen vorstellte.
So stiegen die Zuhörer im Palais im Großen Garten Stück für Stück tiefer in die faszinierende Welt der Vogelstimmen ein. Komponist und Interpret schafften es, dass man die Zeit vergaß, die ohnehin von Messiaen in den Stücken besonders behandelt wird – selbst für mit Messiaens Musik vertraute Hörer ist dieser Zyklus eine Herausforderung. Pierre-Laurent Aimard konnte allerdings restlose Begeisterung der am Ende doch etwas reduzierten Zuhörerschaft empfangen. Timbre ist das Zauberwort seines Spiels, das in den drei Stunden von absoluter Konzentration und vor allem kluger Disposition der wechselnden Stimmungen bestimmt war. Aimard trug den Zuhörer durch ein immenses Feuerwerk der Farben und Formen, die eben genau so überraschend auf den Zuhörer einwirken wie ein Waldspaziergang mit offenen Ohren: Messiaen bettet den Pirol, den Bussard und vor allem den Teichrohrsänger, dessen Ehrerbietung allein eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, in die Umgebung ein und lässt Winde, Vögel im Nachbarbaum, Nacht und Tag sprechen – in eigener, unverkennbarer Tonsprache, die von Rhythmus und Kontrast lebt, und sich immer wieder auch zu atemberaubend schönen, choralartigen Episoden beruhigt.
Im dritten Block des Konzertes, in dem Messiaen mit Stücken über den Steinrötel und den Trauersteinschmätzer nahezu hymnische Töne anstimmt, staunte man nur noch, wie sich Aimard noch emotional steigerte und mit ruhig gefasstem Anschlag und sogar dankbarem Lächeln für Messiaen in einigen Passagen dem Steinway-Flügel nie zuvor erlebte Klänge entlockte – am Ende dankte er in bescheidener Weise dem Publikum für die spannungsvolle Aufmerksamkeit über die gesamte Konzertzeit. Durch diese Geste wurde die einzigartige, über den ganzen Abend währende gemeinsame Stimmung der sinnlich-respektvollen Annäherung und Beschreibung der Natur, in der man sich befand, noch einmal gegenwärtig. Würde Olivier Messiaen noch leben, er hätte vermutlich mit dem Notizblock durch die Umgebung streifend das Konzert verpasst – im Großen Garten sind immerhin 72 Brutvogelarten nachgewiesen.
(16.5.2016)
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