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Positiver Schock

Mozart und Schostakowitsch zur Spielzeiteröffnung der Dresdner Philharmonie

Das Kopfkratzen währte nur kurz: Mozart und Schostakowitsch zur Spielzeiteröffnung der 146. Saison der Dresdner Philharmonie – wie würde das zusammengehen? Gar nicht. Und genau darin lag das Geheimnis eines fantastischen Konzertes und der von Intendantin Frauke Roth zu Beginn geäußerte Wunsch eines unvergesslichen Konzertabends an die Besucher wurde von Takt zu Takt realistischer. Im Albertinum erinnerte Frauke Roth aber auch mit leuchtenden Augen an die Kulturpalasteröffnung am 28. April 2017 – die letzte Interimspielzeit dürfte wohl trotz des anderslautenden Mottos „Klangwelten“ auch als erwartungsvoller Countdown bei Musikern wie Zuhörern wahrgenommen werden.

Sodann betrat ein der Besetzung der Wiener Klassik angemessenes kleines Orchester die Bühne und der diesjährige Artist in Residence der Dresdner Philharmonie, der US-amerikanische Countertenor Bejun Mehta bestritt den ersten Konzertteil mit Arien aus frühen Opernwerken von Wolfgang Amadeus Mozart – die Ouvertüre zu „Mitridate, re di Ponto“ stellte Chefdirigent Michael Sanderling an den Beginn. So wurde die Spielzeit mit äußerst zarten Klängen eingeleitet – wie faszinierend ebenso eine perfekt zelebrierte „Härte“ klingen kann, hob man sich für den zweiten Konzertteil auf.

Wunderbar entspannend, in dramatischen Textteilen auch einmal herausfahrend, aber dennoch in einem Gesamtrahmen der artifiziell-theatralischen Darstellung verbleibend, so gestaltete Mehta mit herrlich weich geführter Stimme die Arien aus „Ascanio in Alba“ und „Mitridate, re di Ponte“ aus. Begonnen hatte er mit der bekannteren „Ombra felice“-Arie. Allen Stücken ist zu eigen, dass man sich musikalisch in einem durchaus wertvollen Zwischenraum zwischen italienisch geprägtem Barockgusto und der beginnenden, dann auch von London und Paris inspirierten Salzburger „Schreibe“ Mozarts befand: Musik, die einem Geschmack huldigte und gleichzeitig Lernstoff darstellte. Um so verzauberter war man von jeder emotionalen Regung, die Mehta gemeinsam mit den im schlanken Gewande musizierenden Philharmonikern vollführte, die Händel-Zugabe (aus „The Choice of Hercules“) war obligat.

Dann: absoluter Weltenwechsel, Hochspannung und Hochdramatik. Dmitri Schostakowitschs 4. Sinfonie c-Moll steht aufgrund ihrer großen Besetzung und komplexen Faktur nicht oft auf den Programmen, und wenn, dann heißt es für Zuhörer wie Musiker ein ganz eigenes Reich zu betreten, denn die vom Komponisten zunächst zurückgezogene Sinfonie hat eine avancierte, entfesselt freie Klangsprache, zu der Schostakowitsch in dieser Form selten zurückfinden konnte und durfte.

Fließender, den Hörer im Wortsinn sofort überwältigender Sprachduktus und mit immenser Innenspannung hergestellte Bilder eines wie einen alles erfassenden Stromes, das war der Kern der Interpretation von Michael Sanderling und der Dresdner Philharmonie, deren Homogenität an diesem Abend positiv schockte. Was kann dieses Orchester bitte alles leisten, wenn man so wunderbar aufeinander abgestimmt ist, wie an diesem Sonnabend? Die vom ersten Takt an aus der Partitur sprechende Radikalität des Ausdrucks (etwa des durch alle Instrumente wild galoppierenden Zweitonmotivs im 3. Satz) wurde für alle Orchestergruppen zum bedingungslos umgesetzten Muss. Die Soli etwa von Fagott und Posaune oder die insektenschwarmartige Bläserpassage des 2. Satzes gerieten traumwandlerisch gut – manche Referenzaufnahme des heimischen Plattenschrankes verblasste angesichts dieses Live-Erlebnisses.

Am Ende des 3. Satzes, nach bizarren Ausflügen, Walzerfetzen und einem Gestaltungshöchstmaß in kleinsten Pizzicati oder mit gestopftem Blech vereinsamt hingestellten Akkorden ging es im weit ausladenden Höhepunkt auf eine Art offenes Meer hinaus – in diesem riesigen Wogen wurde die Größe der Musik Schostakowitschs offenbar, der Schluss versiegte himmelwärts. Großartig.

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