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Nachdenken über Freiheit

Beethovens „Egmont“ und eine französische Sinfonie im Philharmonie-Konzert

Bei manchen Stücken des Konzertrepertoires sind Fragen berechtigt, warum es die Musik heutzutage nur so selten auf die Bühne schafft und sich ein Kanon gespielter Werke im Laufe der Zeit herausgebildet hat. Zumeist sind die Gründe dafür aber sehr unterschiedlich und im Fall von Ludwig van Beethovens Musik zu Goethes Trauerspiel „Egmont“ auch noch komplex – hatte doch schon Schiller wenig gutes Haar an Goethes Stück gelassen und dessen Opernhaftigkeit bemängelt. Theatermusiken generell haben sich im 19. Jahrhundert als zumeist vom Komponisten eingerichtete Suite bewährt – von Beethovens 10 Musiknummern überlebte allerdings nur die leidenschaftliche Ouvertüre.

Im Albertinum-Konzert der Dresdner Philharmonie war am vergangenen Sonnabend die gesamte Schauspielmusik in der von Tobias Moretti eingerichteten Textfassung zu hören. Ein Schauspieler und eine Sängerin – die Klärchens bereits in Goethes Drama verfassten Lieder interpretiert – gesellen sich zum Orchester hinzu, und plötzlich wird aus dem großen Geschichtsdrama aus Oranien ein kompaktes, etwa fünfzigminütiges Hörstück, das plastisch vor den Ohren entstand. Da lud die Deutlichkeit in der Orchesterinterpretation zu Bildern im Kopf ebenso ein wie die facettenreiche, geduldig-ruhige und doch jeweils sehr auf den Punkt der Emotionen gebrachte Erzählung durch den Schauspieler Tom Quaas. Klärchens Lieder interpretierte die kanadische Sopranistin Emily Dorn, Ensemblemitglied an der Dresdner Semperoper mit schöner, deutlicher Führung ihrer Stimme, so dass man fast bedauerte, dass Beethoven kein umfangreicheres Klärchen-Liederbuch angelegt hatte.

In dieser Fassung aufgeführt, fing der „Egmont“ an, ein Eigenleben im Hören zu entwickeln, setzte ein Denken über Freiheit, Politik und Geschichte ein, das keinesfalls an diesem Abend Lösungen feilbieten konnte, aber Sätze wie „Wisst ihr auch, was ihr da ruft?“ saßen wie gezielte Nadelstiche in die Gegenwart. „Schützt euer Liebstes!“ ruft Egmont am Ende aus dem Gefängnis, und das ist ernst gemeint. Die von der Philharmonie mit angemessener Turbulenz hier einfallende Siegessymphonie wirkte dann fast schon als eine skurrile Utopie, die Aufführung unter der straffen, aber Plastizität stets in den Vordergrund stellenden Leitung des 1. Gastdirigenten der Philharmonie Bertrand de Billy war ein überzeugendes Plädoyer für das Beethoven-Werk – über Freiheit kann man nicht oft genug, und selten in solch angemessener Weise nachdenken.

Eine andere Art von Freiheit entfaltete sich im zweiten Konzertteil. Tönende, kompositorische Freiheit kündet aus César Francks hochromantischer d-Moll Sinfonie, ein Stück, das mit seinen zyklischen Verklammerungen stetige Hochspannung schafft, dabei aber Emotion vor Intellekt stellt: so hatte Bertrand de Billy keine Mühe, den Streichern größtmögliches Legato zu entlocken und die Blechbläser nahmen die Aufgabe dankbar an, die in dieser Sinfonie oft im Vordergrund stehende harmonische Entwicklung warmtönend oder hell strahlend darzustellen. Trotz genauer Aufgabenverteilung ließ de Billy den Philharmonikern genug Freiheit, um etwa im zweiten Satz eine liedhafte Schlichtheit zu erzeugen und hatte ein gutes Gespür für den leidenschaftlichen Drang der Ecksätze – dieses Klangerlebnis nahm man gerne mit nach Hause.

* CD-Tipp: Ludwig van Beethoven: Schauspielmusik zu „Egmont“, Tobias Moretti, ORF Radiosinfonieorchester Wien, Bertrand de Billy (Oehms, 2012)

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