Strawinsky, Klemm und Mendelssohn beim Bachfest mit der Singakademie Dresden
Beim derzeit stattfindenden Bachfest Dresden spielen nicht nur die Werke des barocken Meisters eine große Rolle, sondern selbstverständlich auch deren Rezeption und Wirkung bis in heutige Zeiten. So realisierte die Singakademie Dresden am Sonnabend in der Kreuzkirche – vor leider nicht allzu großem, aber das Geschehen konzentriert verfolgendem Publikum – ein sehr ambitioniertes Programm unter dem Titel „Lobgesänge“, bei dem keine Komposition von Bach gespielt wurde, aber alle drei Komponisten in sehr unterschiedlicher Weise Bach mit(be)dachten.
Wenn Igor Strawinsky dies in seiner „Psalmensinfonie“ vor allem durch eine rational ausgeführte Distanz vorhatte, so ist ihm das insofern gründlich misslungen, weil man selbstverständlich im Hören die Bach-Bezugnahme wieder aktiviert, und Strawinsky so plötzlich wie ein Destillat wirkt, natürlich in ganz eigener Qualität. Die Kooperation mit dem Dirigentenforum des Deutschen Musikrates ermöglichte es, dass der junge Dirigent John Lidford die Aufführung mit der Singakademie und dem Orchester der Staatsoperette Dresden leitete. Das tat er sehr klar und erfrischend ruhig, dennoch nahm man die Ausdrucksunterschiede im pointiert agierenden Orchesterensemble zu dem hier mit mancher Klippe kämpfenden Chor sehr deutlich wahr, und akustisch stießen die Ensembles in der Verschmelzung einige Male schlicht an die Grenze des Machbaren.
Doch wirkte vor allem die stilistische Einleitung des etwa im „Laudate“-Satz fein in der Stille pochenden Lobes nach, denn es ergaben sich Korrespondenzen zu den Folgewerken. Der Leiter der Singakademie Ekkehard Klemm steuerte selbst eine Uraufführung bei und bezog sich in „Ricercar 5,9“ zwar sehr viel direkter als Strawinsky auf Bach und dessen berühmtes „Musikalisches Opfer“, benutzte aber eine geschärfte, heutige Sprache, die Polyphonie in verschiedenen, von Marco Amherd, John Lidfors, Alexander Lüken, Claudia Sebastian-Bertsch und Ekkehard Klemm selbst geleiteten Ensembles zu einer spielerisch behandelten Stimmvielfalt auffächert.
„Daß ich die Stimmen unterscheid“, der Satz aus dem Gedicht „Der alte Bach“ von Christoph Eisenhuth schält sich aus dem schön gestalteten Sopransolo von Anja Zügner und wurde zum Motto der Aufführung, der man staunend beiwohnt, weil die geordnete Freiheit samt ebenfalls in der rechten Orchesterecke insistierend pochendem Lob ein geschlossenes Bild erzeugte, erst recht, weil Kinderchor, großer Chor und Instrumentalensembles ihre widersprüchlichen Argumente, Proteste, Gesänge und Aussagen mit großem Engagement darboten. Eine FAQ zum Werk findet sich übrigens auf Ekkehard Klemms Weblog, manchen Hintergrund offenlegend.
Das hätte als „Tobak“ samt Strawinsky genügt – doch ein gewaltiger Lobgesang des 19. Jahrhunderts folgte noch: Felix Mendelssohns gleichnamige Sinfonie-Kantate war emotional durch diese Präludien aufgeladen. Ekkehard Klemms schon in den drei Orchestersätzen straffe, fast aufmüpfig direkte Lesart, die vom Staatsoperettenorchester sowohl klangschön als auch mit direkter Reaktion umgesetzt wurde, gab dem lobenden Odem eine Qualität der Aufrichtigkeit, was der selbst in den Fugen nimmermüde, präzis deklamierende und dann im Choral zu großer Eindringlichkeit gelangene Chor und die drei ebenso einfühlsam agierenden Solisten Anja Zügner, Marie Hänsel und Benjamin Glaubitz in ihren Partien stimmig beantworteten. Die große Leistung aller Beteiligten war ebenso eindrucksvoll wie die doch überraschende Erkenntnis, dass das Lob des Höchsten vom rauschenden Orgelbrausen bis hin zur intimsten Bitte viele, vielstimmige Farben annehmen kann.
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