Zemlinsky, Schulhoff, Martinů und Janáček im 6. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden
So wirklich getraut hatte sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kein Komponist – den lustvoll experimentierenden Louis Spohr einmal ausgenommen – ein Streichquartett als Solisten vor ein Orchester zu setzen. Kammermusik und Sinfonik gingen keine Verbindung ein, vor allem war der Virtuos des 19. Jahrhunderts eine einzigartige Erscheinung, eine Vervierfachung hätte ja seinen Ruhm geschmälert. Doch auch im 20. Jahrhundert und in der zeitgenössischen Musik ist eine solche Besetzung äußerst selten, um so aparter war es für die Zuhörer des 6. Sinfoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle, nicht nur gleich zwei Beispiele dieser Gattung kennenzulernen, sondern auch noch mit dem russischen Borodin Quartett ein hochangesehenenes, traditionsreiches Ensemble zu erleben.
Das Programm mit Stücken von Bohuslav Martinů und Erwin Schulhoff, umrahmt von zwei Sinfonietten von Alexander Zemlinsky und Leoš Janáček erhielt noch weitere Klammern: Alle vier Komponisten standen in enger Verbindung mit der Musikstadt Prag, die Stücke sind zwischen 1926 und 1934 entstanden und zudem waren im Konzert drei von den Nationalsozialisten vertriebene oder internierte Komponisten vertreten. Für diesen hochinteressanten Einblick in die Prager Musikkultur der 30er Jahre zeichnete der russische Gastdirigent Vladimir Jurowski, designierter Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin verantwortlich, der schon oft bei der Kapelle mit ungewöhnlichen Programmen überzeugte. Und damit wurde nicht nur das Publikum auf eine Entdeckungsreise geschickt, sondern ebenso die Staatskapelle Dresden, welche die Noten mit Ausnahme der Janáček-Sinfonietta zum ersten Mal auf den Pulten vorgefunden haben dürfte, diese aber mit großem Geschick in Werk und Komponist adäquate Klänge umsetzte.
So bekam Alexander Zemlinskys dreisätzige Sinfonietta zu Beginn mit der Mahler-Erfahrung der Kapelle einen gehörigen Schub emotionaler Tiefe verpasst. Denn was hier leicht und beschwingt komponiert werden sollte, ist von Zemlinskys rückwärtigen Seufzern und düsteren Vorahnungen durchtränkt. Die wohl kaum beabsichtigte Doppelbödigkeit des Stücks zwischen kompositorischem Kratzen an einer (Wiener) Oberfläche und unterschwelligem Drängen wurde in Jurowskis Interpretation deutlich spürbar.
Erwin Schulhoffs Schaffen in den 30er Jahren hingegen bestimmt ein selbstbewusst-experimenteller und die Trends der Zeit aufsaugender Stil. Die Interpretation des Konzertes für Streichquartett und Blasorchester war deutlich an der Ernsthaftigkeit orientiert, mit der das Borodin Quartett hier zu Werke ging. Das allerdings passte nur ansatzweise, um Schulhoffs Charakteristik freizulegen. Vielleicht wehte bei der Erstbegegnung mit dieser Musik ein zu hehrer Wind des Anspruches von der Bühne. Recht professionell, aber äußerlich völlig regungslos musizierte das Borodin Quartett seinen Solopart, während sich die munter im Hintergrund aufspielende Dresdner Bläsercombo brav zurückhielt, um akustisch nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.
In Bohuslav Martinůs Streichquartett-Konzert wurde der Tonfall klassischer, auch wenn man den bekannten Traditionsbekenntnissen des Komponisten herzlich widersprechen möchte. Insbesondere die harmonische und rhythmische Faktur des Werkes weisen vielfach über den minimalistischen Neoklassizismus, den ein Igor Strawinsy proklamierte, deutlich hinaus. Dieses Konzert wirkt vor allem im freien Umgang mit den kompositorischen Möglichkeiten sehr viel spritziger und intelligenter als eine pure Barockmusik-Anleihe. Und siehe da – im bekenntnishaft die Leichtigkeit der Außensätze erschütternden 2. Satz traute sich das auch weiterhin schüchtern wirkende Borodin Quartett endlich auch tiefergehenden Ausdruck in der Semperoper auszuprobieren. Das zündete, Jurowski und das Orchester zogen wunderbar mit und konnten so dieses Konzert zu einem Höhepunkt des Sonntagvormittages gedeihen lassen.
Janáčeks Sinfonietta hatte es da an der Position des „Finale furioso“ fast schwerer, denn hier war die Aufmerksamkeit nicht mehr vollends gegeben, wenngleich hervorragende Blech- und Holzbläser für reichlich Strahlkraft und Lebendigkeit sorgten und Jurowski vor allem den pulsierenden Passagen Aufmerksamkeit zugedachte. So legten sich die Holzbläser mutig in ihre flirrenden Passagen und die gesamte Aufführung war auch akustisch gut ausgewogen – mit Ausnahme der unterbelichteten Paukenstimme in der Fanfare. Eine vielschichtig-turbulente Zeit der Musikgeschichte wurde in gut zwei Stunden vom bestens präparierten Orchester intensiv beleuchtet und erhielt mit Janáčeks prächtigen Durakkorden und Fanfaren am Ende einen versöhnlich-positiven Ausklang.
Mehr zu diesem Konzert: Interview mit dem Dirigenten Vladimir Jurowski
Foto Sächsische Staatskapelle Dresden – Janáček Sinfonietta/Jurowski (c) Matthias Creutziger
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