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„Ich singe immer dasselbe Lied“

Außerordentlicher Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle porträtiert Sofia Gubaidulina

Es war ein deutliches Signal in Richtung eines Bewusstseins und Bedürfnisses, sich mit aktueller Musik mehr zu beschäftigen denn je, das über dreißig Musiker der Staatskapelle Dresden in einem Außerordentlichen Kammerabend am Sonnabend in der Schlosskapelle des Residenzschlosses Dresden setzten. An der Wirkungsstätte von Heinrich Schütz, von der eine neue Musik nach Mitteldeutschland und der Welt ausging, will man sich auch heute nicht im Alten ausruhen, sondern füllt den Raum erneut mit den Klängen der Gegenwart. Die Staatskapelle Dresden würdigte ihre diesjährige Capell-Compositrice, die 85-jährige russische Komponistin Sofia Gubaidulina, mit einem fünfstündigen (!) Porträtkonzert, das in drei Teilen Gubaidulinas Wurzeln, Einflüsse und – nach einem ihrer Werke „In Tempus Praesens“ betitelt – die kompositorische Gegenwart der Künstlerin betrachtete. Es gelang eine eindrucksvolle und sicher auch einmalige Werkschau mit insgesamt zehn Kammermusikwerken vom Solo bis hin zum großen Kammerensemble aus den Jahren zwischen 1965 und 2013 – auf Initiative der Orchestermusiker zusammengestellt und in der Schlosskapelle in durchweg intensiven, äußerst engagierten Interpretationen musiziert. Die geehrte Komponistin zeigte sich im Gespräch mit Konzertdramaturg Tobias Niederschlag von den Musikern begeistert und konnte auch der gewaltigen Porträtkonzeption etwas abgewinnen: „Wie würde das alles zusammengehen, dachte ich? – Doch, es geht zusammen. Ich singe immer dasselbe Lied.“ – Damit war die Demut vor der eigenen Kunst und gleichzeitig das Müssen des schöpferischen Aktes wunderbar ausgedrückt.

Konzentriert im Kammerensemble: Musiker der Staatskapelle unter der Leitung von Petr Popelka.

Schon die „Fünf Etüden“ aus dem Jahr 1965 trugen die unverwechselbare Gubaidulina-Handschrift in einem Sinnieren und Vorwärtstasten eines von Satz zu Satz fein entwickelten Klangs, hier noch mit frei improvisierten Passagen und einigen in den Jazz wiesenden rhythmischen Eskapaden angereichert. Im Laufe der Jahre erscheint Gubaidulinas Klangsprache sehr viel konzentrierter, aber dadurch wirkt sie auch geschärft und entwickelt dramatisches Potenzial, weil die Polaritäten etwa in „Quasi hoquetus“ oder in „Silenzio“ immer mehr Energie aufweisen, die seltenst ruckartig oder nervös daherkommt, sondern immer aus einer Stille oder Tiefe mit großer Kraft und hörbarer Anstrengung eines musikalischen Aktes, der bezwungen werden will, heraufsteigt. Das betrifft meist auch die Richtung der Musik, die etwa in „De Profundis“ – ein Solo für den wunderbaren Bajan-Spieler Geir Draugsvoll – Räumlichkeiten anlegt und durchschreitet. Neben Werken von Gubaidulina kamen auch Stücke von Dmitri Schostakowitsch, Johann Sebastian Bach, Anton Webern und Viktor Suslin als Einflüsse und Bezugnahmen, gar als intimes Freundschaftsgespräch (in „So sei es“) zu Gehör.

Was an diesem Abend kontinuierlich Begeisterung entfachte, war der hohe Grad der Souveränität, mit der die Kapellmusiker die Partituren nicht nur musizierten, sondern mit persönlicher Haltung und tiefem Verständnis wirklich deuteten – etwa in den genussvollen Grenzübertritten der „Duo Sonata“ für zwei Fagotte oder dem vielfarbigen „Concordanza“ für Kammerensemble, bei dem Kontrabassist Petr Popelka, einer der Initiatoren des Kammerabends, auch am Dirigentenpult tätig wurde; zuvor hatte er schon eine empfindsam-durchsichtige Aufführung von Weberns Konzert Opus 24 geleitet. Als Zuhörer durfte man sich glücklich schätzen, so umfangreiche, tiefe Einblicke in das Schaffen der Komponistin erhalten zu haben, auch wenn man einer Hörüberforderung an diesem Abend ebenso Raum geben musste und statt der verstehenden Höchstkonzentration, die Gubaidulinas Musik zuweilen einfordert ein gefühlsmäßiges, ebenso legitimes Hineingleiten in die Klänge vorzog. In der erstaunlich gut besetzten Schlosskapelle bedeutete der große Beifall des Publikums nicht nur die Anerkennung der herausragenden Leistungen der Kapellmusiker, sondern vor allem eine Verbeugung vor dem Lebenswerk von Sofia Gubaidulina. – „Musik passiert in der Zeit und deshalb muss ich dabei sein“ – äußerte Kapellist Petr Popelka im Podiumsgespräch. Das ist unbedingt zu unterschreiben. Das Volumen eines solchen Porträtkonzerts, und manche Details, wie etwa die frontal-konventionelle Konzertsituation und letztlich auch das leibliche Wohl der Zuhörer, die in den Pausen mit einer limitierten Salzgebäckdiät vorlieb nehmen mussten, sind sicher noch diskutierenswert, aber der 4. März 2018 ist unbedingt vorzumerken: dann wird der Capell-Compositeur der kommenden Saison porträtiert. Es wird, so verriet Konzertdramaturg Tobias Niederschlag bereits vorfristig, der Este Arvo Pärt sein.

* Weitere Werke von Sofia Gubaidulina gibt es in der laufenden Saison im 3. Aufführungsabend am 25. April sowie im 10. Sinfoniekonzert am 12., 13. und 14. Mai zu hören.

Fotos (c) Matthias Creutziger

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