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Wo bleibt die Neugier für das Neue?

Eine „Next Generation“ sächsischer Komponisten stellte sich in der Musikhochschule Dresden vor

Nein, so geht es eigentlich nicht, obwohl die Grundidee spannend ist: einmal im Jahr soll jungen Komponisten der sächsischen Musikhochschulen die Möglichkeit gegeben werden, Kammermusikalisches für herausragende Solisten zu schreiben, die diese Stücke gemeinsam mit den Komponisten erarbeiten und uraufführen. Doch das Projekt „the next generation“, das zum dritten Mal in Kooperation des Sächsischen Musikbunds mit KlangNetz Dresden und den beiden Hochschulen in Leipzig und Dresden stattfand, entleerte sich seines Vermittlungssinns, wenn man Anspruch und Ergebnis vergleicht.

Abzüglich der Komponisten, des Veranstalters und eines Rezensenten fand sich am Mittwochabend eine gerade noch einstellige Zahl Zuhörer zum Konzert im Kleinen Saal der Dresdner Musikhochschule ein. Auf der Bühne: vier herausragende – in der Neue-Musik-Szene des Landes sehr bekannte – Könner ihrer Instrumente Trompete, Horn, Posaune und Bassklarinette, die mit insgesamt sechs Stücken junger Komponisten auch alle Hände (und Lungen) voll zu tun hatten und sich kompetent um klangschöne und genaue Umsetzung der neuen Partituren kümmerten. Allein dass diese auf die leeren Stuhlreihen im überakustischen (die nächste Problematik: warum hier und nicht im HfM-Konzertsaal?) Saal blicken mussten, ist eigentlich schon bitter genug.

Doch es kam noch mehr hinzu: ein hingewischtes Programmheft, das Sinn und Anlass des Projektes nicht erklärte und zu zwei Stücken keine weiteren Hinweise gab. Man fragte sich zudem, wo die Kommilitonen, Studenten oder auch Dozenten von gleich vier Instrumentalklassen der Hochschule an diesem Abend waren, wenn beispielsweise im Konzert mit Paul Hübner ein Trompeter beteiligt ist, von dem man in jeglicher Hinsicht nur lernen kann – seien es zeitgenössische Spielweisen oder schlicht eine bescheiden-ruhige Haltung zu jedem Stück einzunehmen, die kongeniale Übersicht und Konzentration ermöglicht. Netzwerke unter Komponisten waren in Dresden bereits vor zwanzig Jahren Gang und Gebe, der Kleine Saal bei Podien manches Mal überfüllt – heute überwiegt facebook-Einsamkeit? Dass „next generation“ keinen repräsentativen Überblick in die aktuelle und künftige Musik aus Sachsen ermöglichen kann und will, wird klar, wenn man feststellt, dass jeweils drei Komponisten aus Klassen renommierter Lehrer in Dresden und Leipzig das Projekt mit Uraufführungen bestücken. Die Erfahrung zeigt, dass es die wenigsten dieser Komponisten nach ihren Studien in Sachsen hält – „next generation“ ist eine Momentaufnahme, ein Werkstatteinblick.

Interessant war, dass die drei Dresdner Repräsentanten Yukari Misawa, Christian Diemer und Sung-Ah Kim, aus den Klassen von Mark Andre und Franz Martin Olbrisch stammend, mit wenigen Mitteln und klaren Farben und Formen ihren Stücken Geschlossenheit verliehen, während die Leipziger Kollegen – ehemalige oder aktuelle Studenten von Claus-Steffen Mahnkopf – mit ihren kompositorischen Materialien um sich schlugen, als ob es kein Morgen gäbe. Letzteres wirkte ermüdend, gleich ob es Zach Seelys kammermusikalisches Sozialexperiment „For Garcia“, Jacques Zafras zweiteiliges „vor“ oder Adrian Kleinlosens vor sich hin plapperndes Euphonium-Elektronik-Duo „Schoscha“ war. Wenn dann ein Komponist noch im Programmheft zu einem speziellen Hören auffordert, das „dem Stück gerecht werden soll“, fragt man sich tatsächlich, ob man in ein Konzert gegangen ist oder in eine Aufblätterung von Algorithmen, die möglichst schnell Kopfschmerzen verursachen soll, und dies vor allem deswegen, weil man in der zeitgenössischen Musik der vergangenen (mindestens) zwanzig Jahre ähnlich hochtrabende Ansprüche schon zur Genüge erlebt hat, deren musikalisches Ergebnis lediglich einer Beerdigung derselben (der Musik) gleichkommt.

Für Misawas „Sphärenharmonie“ indes hätte man sich noch mehr Konsequenz gewünscht, der Schwindel angesichts des im Raum kreisenden Blechs war im Ohr zumindest angesprungen und imposant. Christian Diemers „Unirii“ baute anhand eines politischen facebook-Live-Videos einen Klangraum eines Schock-Nachvollzugs auf, was in der Eindringlichkeit der Szene und des eingefangenen Schallraums ebenso überzeugte wie Sung-Ah Kims aphoristisch wirkendes Trompetensolo „Då“. Für Hübner und die ebenso in allen Lagen, mit Luft- und Slap-Geräuschen wie mit Spektraltönen höchst vertrauten Clemens Gottschling (Horn), Florian Juncker (Posaune) und Heather Roche (Bassklarinette) gab es großen Applaus. Die Neugier am Neuen bleibt indes ein Thema, und ob das Interesse an aktueller Musik tatsächlich so gering ist, wie in diesem Konzert leider messbar, darüber sollten die veranstaltenden Vereine dringend und auch in Selbstbefragung ihrer Maßnahmen sprechen.

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Veröffentlicht in Rezensionen

2 Kommentare

  1. Ralf Lippold Ralf Lippold

    Mut zum Neuen ist etwas Rares. Vor allem in Dresden bedarf es kontinuirlicher Kommunikation mit denjenigen, die im Publikum sitzen sollten, potentiellen Mäzen und der allgemeinen Öffentlichkeit.

    Auch wenn wir selbst seit Jahren in der Musik- und Ballettszene unterwegs sind kam keine Information zu dem Konzert über die zahlreichen digitalen Kanäle. Sollte es nur Plakate und Flyer gegeben haben?

    Ralf, @SemperoperDD

    • akeuk akeuk

      Lieber Ralf Lippold, Kommunikation ist das richtige Stichwort, Relevanz (Martin sprach es bei fb an) bzw. auch ein Wert(e)-Denken über Kultur wäre ein weiteres. Mir fehlt vor allem Herzblut und die daraus folgende Aktivitätskette „DAS möchte ich hören, da tu ich was für, da geh ich hin, das sag ich weiter“. Trotzdem sind Gründe komplex, Dresden hat viel zu bieten, Termin – vor dem langen Wochenende – und Ort waren möglicherweise ungünstig. Andere These: Dresden ist manches Mal, auch in seiner Kultur, seinen Konzerten, seinen Stadtbelustigungen (irgendwann wird der tägliche Heißluftballon nochmal von – ebenso täglicher – Pyro getroffen…) ohne Maß. Oberflächlichkeit, Bequemlichkeit, Wiederholung, aus der Vielzahl der dahingeworfenen Bissen resultierend, ist Gift für starke Kultur, starke Musik.

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