Sternstunde bei den Musikfestspielen mit der Tschechischen Philharmonie
Nehmen wir es vorweg: wenngleich sicher jeder Besucher bei den zahlreichen Konzerten der ersten beiden Wochen der Dresdner Musikfestspiele sein persönliches Highlight schon gefunden hat – beim Gastspiel der Tschechischen Philharmonie im Kulturpalast am vergangenen Sonnabend waren sich alle einig, einer Sternstunde beigewohnt zu haben. Lediglich die Absage des Dirigenten Jiří Bělohlávek wog schwer und Festspielintendant Jan Vogler schickte zu Beginn des Konzertes einen Gruß zur baldigen Genesung: „Wir machen uns Sorgen um ihn und wünschen, dass er bald zu dem zurückkehren kann, was er am liebsten macht – zur Musik“, so Vogler. Für Bělohlávek, der seit 2012 das große tschechische Traditionsorchester leitet, sprang Petr Altrichter ein. Der 66-jährige Dirigent ist ebenfalls in ganz Europa anerkannter Botschafter der tschechischen Musik und leitet in seiner Heimat mehrere Orchester in Prag, Zlín und Brünn.
Für ihr Gastspiel in Dresden hatte sich die Tschechische Philharmonie eines ihrer Glanzstücke ausgewählt, und der 1882 uraufgeführte Zyklus sinfonischer Dichtungen „Mein Vaterland“ von Bedřich Smetana ist ein nationales Musikdokument, dem nicht nur eine Vielzahl politischer und kultureller Botschaften innewohnt, sondern in denen schlicht das böhmische Herz aufgeht. Die Aufführung im Kulturpalast war gottlob in keinem Takt, in keiner Note von irgendeiner Haltung des Normalen, Bekannten geprägt, sondern mit viel Herzblut und Leidenschaft getragen. Schade, dass wie schon einen Tag zuvor beim Philharmonie-Konzert von einer Veranstaltung am Altmarkt her im Untergrund wahrnehmbare Bässe die Darbietung störten – eine zukünftige Abstimmung erscheint geboten. Vom Publikum gab es schon für die als Einzelstück zum Welterfolg gewordenen sinfonischen Dichtung „Die Moldau“ einen ersten Zwischenapplaus, aber Altrichter winkte da schon ab, schließlich folgten noch vier weitere sicher ohne Zweifel episch zu nennende musikalische Dichtungen.
Dass Altrichter und die hier in nicht notwendiger, aber dann doch für Smetana überzeugend-opulenter doppelter Bläserbesetzung angetretene Tschechische Philharmonie Herausragendes schaffen würden, konnte man eigentlich schon dem Harfensolo in „Vyšehrad“ zu Beginn entnehmen. Altrichter gelang es, die manchmal durchaus schwermütig-romantischen Orchestersätze in einen Schwung zu versetzen, der angesichts des großen Orchesters manches Mal kammermusikalisch, fast singend daherkam. Süffig und süffisant boten die Tschechen jede Menge geistreiche Unterhaltung sowohl mit fantastischem Blechbläserklang als auch in kleinsten Verästelungen in den Begleitfiguren der Streicher. Dafür setzte sich der Dirigent zwar in allen Stücken stets vehement und mit großem Körpereinsatz ein, das Ergebnis war aber frappierend, denn die Musiker fanden sehr schnell auch im erstmals erkundeten Saal einen speziellen Ton, der nur gemeinsam entstehen konnte. Dieser Homogenität war am leichtesten im fugato in „Aus Böhmens Hain und Flur“ nachzuspüren – Altrichter zeigte sich hier wie auch schon in der märchenhaften „Šárka“ als Meister des Übergangs und legte mit dem Orchester nicht nur über viele Partiturseiten spannungtragende Höhepunkte an, sondern man merkte auch, wie alle sich bei einem Leiserwerden gegenseitig zuhörten, ohne jemals den Puls zu verlassen.
Das kam den letzten beiden Dichtungen zugute, die mit ernsteren Geschichten der Hussitenkämpfe und eben auch von Smetana düster komponierten Klangballungen aufwarten. Hier war der Dirigent dann endgültig nur noch ein Klangbeschwörer und die markanten Motive und Choralthemen von „Tábor“ sowie der jubelnde und auf die ersten Dichtungen rückverweisende Ausklang von „Blaník“ gelang hervorragend. Mit stehenden Ovationen dankte das Dresdner Publikum dieser klangmächtigen, in allen Belangen überragenden Darbietung und Altrichter gab bescheiden den Dank an den Komponisten weiter, der seiner Heimat mit „Má Vlast“ ein eindrucksvolles, bis heute lebendig wirkendes Denkmal gesetzt hat.
* Rezension von Agata Schindler in Opera Slovakia – mit einem Kulturpalast-Programmzettel von 1981!
Foto (c) Oliver Killig
Kommentaren