Dresdner Philharmonie mit einem Brahms-Wochenende zum Saisonabschluss
Die Sinfonien und Konzerte von Johannes Brahms zählen wie kaum andere Werke der Spätromantik zum Kernrepertoire der großen Orchester – wohl weil darin die bestehende Orchesterkultur in einer Schönheit ausgeprägt ist, der sich Zuhörer wie Interpreten kaum entziehen können. Dabei ist die Sinfonik von Brahms bekanntermaßen nicht frei von Konflikten: der Meister selbst landete überhaupt erst spät bei der Sinfonik und im Spannungsfeld der deutschen Romantik neue Sinfonien zu veröffentlichen, war auch angesichts einer mit Argusaugen wachenden Musikkritik sowie mitunter komponierend eingreifenden Interpreten (Bruckner konnte ein Lied davon singen) ein Wagnis. Dass Brahms nach der 14-jährigen Arbeit an seiner 1. Sinfonie die zweite in einem Monat aufschrieb, evoziert einen (genialen?) Wurf. Doch problematisch wirken allein schon die Tempi, die unentschlossen zwischen quasi und „nicht zu sehr“ schwanken, das D-Dur, das mal melancholisch, mal pastoral klingen will und eine Formgestaltung, die zum Finale hin sogar kurzatmiger wirkt. Demgegenüber steht die Schönheit des Orchesterklangs, die Brahms hier wohl wie in keiner anderen Sinfonie nahezu ausschüttend komponiert hat.
Die Dresdner Philharmonie – auch mit den Vorgänger-Chefdirigenten immer in Brahms-Konfrontation begriffen – ist ein kompetenter, aber auch flexibler Sachwalter der Brahms-Partituren und Michael Sanderling hat seine Brahms-Liebe schon mit vielen Aufführungen in den philharmonischen Konzerten dokumentiert. Jetzt endlich also erklang auch Brahms im neuen Saal des Kulturpalastes – und es war eine helle Freude, denn lichte Transparenz und eine fast entspannte Energie durchzog die Aufführung der 2. Sinfonie D-Dur, der man mit Dramagedanken oder übertriebener Musizierhaltung besser nicht begegnet – zu fein sind die Motivlinien, die da von den (exzellenten!) Hörnern vorgestellt werden und in Bläsern und Streichern über lange Bögen hinweg immer wieder angesprochen werden. Sanderling entschied sich zumeist für die eher flüssigere Variante der Tempi, ließ aber trotzdem viel ausspielen und vertraute insbesondere im ländliche Idylle verbreitenden Andantino seiner guten Bläsercombo. Der etwas forsch herausbrechende Jubel der letzten Takte der Sinfonie ist dann auch eher ein kompositorisches Problem, das Sanderling aber fast als erfrischende Befreiung von einer doch arg im Pastell verweilenden Handschrift auffasste – die Philharmoniker folgten dieser Idee aufmerksam.
In der Pause gab es reichlich Applaus für einen verdienten Musiker der Philharmonie, der fortan im Ruhestand die Konzerte genießen wird – seit 1977 hat Norbert Schuster am Kontrabass die Konzerte des Orchesters mitgestaltet und dazu leidenschaftlich die Alte-Musik-Szene in Dresden als Leiter der „Capella Sagittariana“ bereichert. Mit einem guten Bekannten ging es dann im 2. Teil des Konzertes weiter: der US-amerikanische Pianist Kirill Gerstein ist dem philharmonischen Publikum schon durch herausragende Gastspiele vertraut. Dass Brahms‘ 1. Klavierkonzert d-Moll hier absichtsvoll nach der 2. Sinfonie postiert war, war eine gute Entscheidung, so konnten sich Licht- und Schattenkontraste optimal entwickeln und man war im zweiten Teil bereit, die Opulenz und weiten Verzweigungen dieses Konzertes aufzunehmen.
Gerstein zeigte sich als ein völlig souveräner Brahms-Interpret; vor allem überzeugte seine faszinierend sensible Klanggebung, die Erdenschwere und virtuose Leichtigkeit derart natürlich verband, dass man schon fast für einem Optimum für Brahms Klaviermusik reden muss, wenn es um die damit auszulösende Bandbreite des Ausdrucks geht. Denn dieses Konzert darf und muss laut und herausfahrend sein, es muss aber auch das Extrem eines völligen Pianissimos aushalten, so etwa das sensible Suchen und Irren im chromatischen Motiv des 2. Satzes. Die tolle Leistung von Gerstein, der jederzeit absichtsvoll und klug gestaltete und im konzentrierten Team mit Sanderling auch viel Emotion bereithielt, wurde von einer sehr guten Orchesterleistung begleitet. Das zugegebene Bach-Duett G-Dur war zwar Gersteins kleines Dankeschön für den Applaus, es wollte sich aber musikalisch nicht mehr ganz in das große Durchpusten nach diesem Klavierkonzertkoloss einfügen.
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