Beim Moritzburg Festival konnten die Zuhörer am Mittwoch erneut vier Stücke aus Sven Helbigs „Pocket Symphonies“ in einer Kammermusikfassung erleben. Dazu gab es einen Quintett-Klassiker von Brahms und ein reizvolles russisches Streichquartett mit „falscher“ Besetzung.
Damals in der Musikklausur war alles noch so klar: ein Streichquartett besteht aus zwei Violinen, Viola und Violoncello. Nach 25 Jahren Moritzburg Festival sind die Konzertbesucher schlauer und würden es wagen, dem heiligen Musiklehrer zu widersprechen: der Russe Anton Arenski (1861-1906) war es, der die Regel durchbrach und zwei Celli statt zwei Geigen auf’s Podium setzte. Übrigens gibt es mindestens zwei Quartettpreziosen mit verdoppelter Bratsche, aber dieses Rätsel dürfen die Leser selbst lösen. Arenski nutzte seine Klangidee, um einen wärmeren, auch satten Streicherklang in der mittleren und tiefen Lage zu nutzen. Ebenso reizvoll ist der ausgedehnte Variationssatz in der Mitte seines 2. Streichquartetts a-Moll, das dem Andenken Peter Tschaikowskys gewidmet ist.
Im Speisesaal des Schlosses Moritzburg kümmerten sich Ning Feng (Violine), Lawrence Power (Viola) und die beiden Cellisten Jan Vogler und Peter Bruns nahezu rührend um dieses Werk. Vor allem war der Interpretation deutlich anzumerken, dass die klangliche Verschmelzung, vom Primarius Ning Feng ausgehend, stets im Vordergrund stand. Auf diese Weise gerieten auch die orthodoxen Begräbnismusiken, die Arenski in die Ecksätze einband, hervorragend empfunden.
Erneut konnten die Zuhörer dann vier der kleinen „Pocket Symphonies“ von Sven Helbig, dem diesjährigen Composer-in-Residence kennenlernen. Es war möglich und erlaubt, dass man hier vieles aus der Popwelt wiedererkannte. Während einige Stücke deutliche Steigerungen aufwiesen, verblieben andere statisch oder minimalistisch vortastend in der einmal gewählten Atmosphäre. Allen gemeinsam war die Kürze des Statements: „Sinfonik“ einmal anders, flüchtig und ungewöhnlich. Lise de la Salle, Annabelle Meare, Lawrence Power und Jan Vogler nahmen die Partitur ernst und entwickelten größtmöglichen Ausdruck. Trotzdem: die „Klaviatur“ der Stücke verlangt im inneren Ohr das Band-Instrumentarium, Saiten und Holz finden hier akustisch-physiogonomische Grenzen, die man sich im Hören gern kulturgeprägt zurechtschieben will: ein interessantes Phänomen indes.
Ganz ohne Genreübertritt, noch dazu mit dem Stempel „Klassiker“ versehen, ging es nach der Pause weiter: Johannes Brahms‘ Klavierquintett f-Moll Opus 34 verlautbart mehr Kraft als Ringen, mehr Statement als kompositorisches Problem, und doch sind alle Fragen hier erlaubt, alle Antworten richtig – Kennzeichen eines Meisterwerks, das verschiedenste Zugänge zuläßt. In Moritzburg spielen Solisten gemeinsam und so war auch diese Interpretation einzigartig, herausragend, unwiederholbar. Ning Feng, Annabelle Meare (Violinen), Lawrence Power (Viola), Andreas Brantelid (Cello) und Alessio Bax (Klavier) wagten sich nur im Scherzo in extreme Ausdrucksbereiche vor, suchten eher aus der Partitur heraus eine Natürlichkeit von Klang und Formverlauf im Spiel zu entwickeln. Daher war es vor allem eine atmosphärische Qualität, die dieses Brahms-Werk so spannend machte, und natürlich war es im Geben und Nehmen der Motive und Facetten des Stücks Kammermusik par excellence. Als einziges kleines Fragezeichen wäre Alessio Bax‘ oft fast zu vorsichtige Einbeziehung des Bösendorfer-Flügels in die Streicherrunde anzumerken – da, wo harmonische Eindeutigkeit ein Ziel verheißt, nahm er merkwürdigerweise immer wieder den Klang zugunsten des nächsten Übergangs zurück. Die hervorragende Homogenität der Streicher und deren immer wieder in den Fluss des Werkes eingebrachte, prägnant-deutliche Motivgestaltung jedoch sorgte für eine bis zu den letzten kraftvollen Tönen sehr überzeugende Darstellung, für die die Moritzburger Künstler mit lauten Bravi bedacht wurden.
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