„Siegfried“ und „Götterdämmerung“ beendeten Thielemanns Ring-Zyklus an der Semperoper
Mit den Aufführungen der Opern „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ wurde am Donnerstag und Sonnabend der Dresdner Zyklus des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in der Inszenierung von Willy Decker aus dem Jahr 2003 vollendet. Eine geschlossene Gesamtleistung herausragender Solisten, der Sächsischen Staatskapelle und des Spiritus Rector Christian Thielemann am Dirigentenpult machte den Zyklus einzigartig.
Dass Opernfreunde an der Semperoper keine Neuinszenierung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ genießen durften, dürfte wohl das einzige Manko gewesen sein. Willy Deckers Inszenierung aus dem Jahr 2003 hat sich nicht nur bewährt, sie ist auch mit herausragenden Sängern neu belebt und intensiviert worden. Nicht alles löst sich hier eindeutig auf oder wird in eine klare Richtung interpretiert, vielmehr gibt Decker Raum für ein Spiel, das die Konzentration zurück auf Wagner lenkt. Und in der Tat war dieser Ring vor allem ein musikalischer Höhepunkt, der schwerlich wiederholbar oder übertreffbar wäre – immerhin gibt es eine (ausverkaufte) zweite Runde ab 29. Januar, die aber genauso einzigartig wirken wird. Doch was war da so unvergleichlich, was das Publikum auch im „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“ zu Jubelstürmen hinriss?
Es war wie bei jeder exzeptionell guten Aufführung: nur bis zu einem gewissen, handwerklich begründeten und vorstellbaren Raum der Möglichkeit ist die Sternstunde planbar. Darüber hinaus ist vieles Fügung, und dazu gehört viel Vertrauen zu den musikalischen Partnern und Kollegen; ebenso wichtig sind minimale Nuancen von Timing, Freiheit und Führung oder dem „richtigen“ Ton. Dennoch bleibt der Ring natürlich ein enorm vielschichtiges Kolossalgemälde, dessen Wirkung erst durch viele Kräfte ermöglicht wird. Für die gemeinsame Schwingung sorgt Wagners viele hundert Seiten umfassende, immer wieder neu faszinierende Partitur, die Christian Thielemann mit unvergleichlicher Erfahrung und großer Sensibilität behandelt.
Nicht satthören kann man sich an den Vorspielen und Zwischenspielen der Sächsischen Staatskapelle. Was da bei Siegfrieds Rheinfahrt oder im überragend interpretierten Trauermarsch in der Götterdämmerung aus dem Graben gülden schimmerte oder in seltener Homogenität im strahlenden Tutti glänzte, gehört einfach zum Besten, was man sich an Wagner-Sound überhaupt vorstellen kann. Thielemanns Konzept, jeder Stimme und jedem Instrument Raum zur Entfaltung zu geben, aber nie den Fortgang von Spannung und Motivik aufzuhalten, geht völlig auf, da die Staatskapelle in atemberaubender musikalischer Qualität jederzeit mitgeht und mithört, wähnt und dünkt, als erzähle sie selbst die Story vom geraubten Rheingold. So ist Wagner beizukommen, werden einem im Rang die Stunden nicht lang.
Und die Sänger tun ihr Übriges, fast möchte man sagen, dass nach der doch einige Welt-Themen abarbeitenden „Walküre“ der „Siegfried“ nahezu rasant wirkte. Erst recht, wenn man so einen spielfreudigen und stimmlich herausragenden Heldentenor wie den Österreicher Andreas Schager als Siegfried bewundern darf. Das ist selbstbewusst, vehement und nur wenige Male zu offenherzig-operettesk, wenn Schager bei seinen Spitzentönen ein paar Mal zu oft die Welt umarmen will. Ihm ist in der Götterdämmerung kein gutes Ende beschieden: die Vollendung der Geschichte liegt bei Brünnhilde, der Ring erreicht wieder den Rhein, alles auf Anfang. Petra Lang verleiht ihrer Brünnhilde eine vorrangig dunkle Timbrierung und brilliert vor allem in der Götterdämmerung in der Verratsszene und im Schlußgesang. So frei und unangestrengt wie Schager oder der auch als Wanderer überragende Vitalij Kowaljow wirkt sie indes stimmlich nicht durchweg.
Der schon im Rheingold völlig in seinem Element spielende Gerhard Siegel (Mime) hatte im 1. Akt des „Siegfried“ seine große Stunde und kaufte Schager da fast den Schneid ab. Albert Dohmen (Alberich), Georg Zeppenfeld (Fafner) und Christa Mayer (Erda), die in der Götterdämmerung noch eine intensive Waltraute singt, fügten sich in diese hervorragende Leistungen, Tuuli Takala aus dem Ensemble gab einen hellen und charaktervollen Waldvogel und auch die Nornen, Rheintöchter und der Staatsopernchor sind in ihren Szenen ein reiner Genuss und qualitativ „on top“. In der Götterdämmerung ist Deckers Konzeption in der Halle der Gibichungen dann leider szenisch nahezu verpufft, auch wenn die wunderbar singenden Protagonisten Gunther (Martin Gantner) und Gutrune (Edith Haller) die leicht dekadent-ratlose Atmosphäre schön unterstreichen.
Wenn Brünnhilde am Ende den Rheintöchtern das Gold gibt, als wäre lediglich im Hintergrund etwas abzusprechen, kippt die Aufführung fast ins Konzertante. Doch zuvor sponn der Albensohn Hagen noch die letzte todbringende Intrige: der Däne Stephen Milling gestaltete dies so herrlich volltönend-furchteinflößend aus, sodass man im 3. Akt nicht wirklich begreift, warum er vor seinem letzten Versuch, das Gold zu erringen, lange am Bühnenrand kauern muss. Am Sonnabend gegen 21 Uhr dreißig war es dann vollbracht: der rote Samtvorhang schloss sich, der letzte Akkord des Bühnenfestspiels strömte warm ins Opernrund und stehende Ovationen, die vor allem Chefdirigent Christian Thielemann galten, beendeten diesen ersten Dresdner Ring nach gut acht Jahren – ein Ring, der in seiner unbestrittenen Qualität und Wirkung unbedingt zu den herausragenden Ereignissen der Nachkriegsgeschichte der Semperoper zählen sollte, zählen wird.
Foto (c) Klaus Gigga
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