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Starke Seelenmusik

MDR Rundfunkchor konzertierte unter Leitung von Jörn Hinnerk Andresen in der Annenkirche Dresden

Es hätte auch tiefster, dunkler November sein können, bei diesem Chorkonzert mit dem Titel „Seelenvergessen“ des MDR Rundfunkchores in der Annenkirche am Sonntagnachmittag. Doch das ausgesuchte a cappella-Programm wies über Trauermusiken und tiefen Ernst hinaus und ergänzte mit Hebbel- und Rilkevertonungen nicht minder tiefgründige Äußerungen zum Thema Seele. Dass die Erforschung der Seele und die daraus wachsenden oder darin wohnenden Klänge Komponisten aller Jahrhunderte zu wegweisenden Kompositionen inspiriert haben, war für den Dirigenten Jörn Hinnerk Andresen, den amtierenden Chordirektor der Semperoper, Grund genug, in seiner Zusammenarbeit mit dem MDR-Chor verschiedene Perspektiven auf das Thema von Schein bis Rautavaara zusammenzubringen. Heraus kam ein ziemlicher Leckerbissen für Freunde der klassischen a cappella-Literatur, und ganz sicher ist der MDR-Rundfunkchor in seiner über die letzten Jahre konsequent aufgestellten hohen Qualität in diesem Genre eine erste Wahl in der Interpretation dieser Werke. Was dann im Ergebnis so selbstverständlich und professionell gewirkt hat, darf man sich dennoch nicht als naturgegeben vorstellen.

Clytus Gottwalds sechzehnstimmige (!) Chorbearbeitung von Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ enthält ebenso viele Klippen wie Schönheiten und auch der madrigaleske, dennoch geistlich empfundene Ton der Motetten eines Johann Hermann Schein will genau getroffen sein. Für letztere holte sich Andresen, nun von der Truhenorgel aus dirigierend, die sanft grundierende Unterstützung durch den Lautenisten Stefan Maass und reduzierte den Chor auf zwei Dutzend Sänger inklusive eines Soloquintetts. Obwohl der Dirigent hier den Ausdruck über die Textgestaltung beförderte, was für Schein unbedingt richtig erscheint, erschienen die frühbarocken Stücke möglicherweise auch im Kontext zu den Überdimensionen der romantisch-modernen Werke etwas blasser – in der Zurücknahme, in der Schlankheit und Homogenität feiner Linien liegt im Chor tatsächlich noch Potenzial.

Trumpfen konnte das große Ensemble allerdings mit den Spannungsbögen und enormen Steigerungen, die Frank Martins 1926 in gemäßigt moderner Tonsprache entstandene Messe für zwei vierstimmige Chöre a cappella zu einem Genuss machten, wenngleich die Akustik der Dresdner Annenkirche das volle dynamische Ausfahren etwa im Hosanna nicht wirklich benötigte. Die Interpretation war von Andresen bis in die Details ausgefeilt, teilweise tänzerisch leicht formuliert und vor allem in der Aussage so geschärft, dass Innigkeit und Power sich nicht ausschließen mussten, sondern eben zwei natürliche Seiten der Seele beschrieben. Schön, dass in diesem Kontext auch Peter Cornelius herrliche Requiem-Motette „Seele, vergiss sie nicht“ eine in überwiegend warmen, sanften Farben gezeichnete Interpretation erfuhr, bei der die Sänger nach den harmonisch-rhythmischen Abenteuern der Martin-Messe ins Schwelgen geraten durften. Jörn Hinnerk Andresen sorgte hier für einen im Tempo klar geführten Spannungsbogen, der zu einem wunderbaren beruhigten Gesamtchorklang am Ende führte.

Nach diesem Höhepunkt wirkte Edward Elgars aus den orchestralen „Enigma-Variationen“ von fremder Hand herausgelöster „Nimrod“ in der Chorbearbeitung als „Lux Aeterna“ einigermaßen künstlich, dennoch bildete das Stück in seinem tröstenden Duktus eine gute Brücke zum letzten Werk des Konzerts, der ersten Elegie von Rilke in der Vertonung des Finnen Einojuhani Rautavaara. Hier wurde ein Bogen zum Rückert-Text des Mahlerliedes zu Beginn geschlagen, brach sich eine starke poetische Meditation Bann. Rautavaaras „Wer wenn ich schrie, hörte mich denn“ bildete mit Rilkes Worten in der deutlich ausgeformten, sich bis zum herausbrechenden fortissimo steigernden Interpretation des MDR-Chors ein eindrucksvolles Finale dieses anspruchsvollen und gelungenen Chorkonzerts.

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