Vorkonzert zu den 9. Internationalen Schostakowitsch-Tagen in der Semperoper
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) schrieb sein 8. Streichquartett im Sommer 1960 in Gohrisch – im Gästehaus des Ministerrates der DDR. Das diesem Ereignis gewidmete, weltweit einzige Schostakowitsch-Festival findet an diesem Wochenende in der Konzertscheune Gohrisch nun schon zum 9. Mal statt und strahlt erfolgreich mit vornehmlich osteuropäischen Schwerpunkten, Ur- und Erstaufführungen und herausragenden Kammermusikaufführungen in die Welt hinaus. Um sich beim Festival auch den großbesetzten sinfonischen Werken des Komponisten widmen zu können, wurde in den letzten Jahren ein Vorkonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden programmiert – das Orchester ist dem Festival über seine eigene Kammermusikvereinigung seit der Gründung treu verbunden. Ein mit der Werkpflege von Dmitri Schostakowitsch bestens vertrauter Dirigent ist der Russe Yuri Temirkanov (79), der seit 1988 die St. Petersburger Philharmoniker leitet. Es ist ein Orchester, das als Inbegriff klassischer russischer Musikkultur gilt und in Sachen Schostakowitsch stark durch die 50-jährige Ära des Dirigenten Jewgeni Mrawinsky geprägt wurde.
Temirkanov gastierte zuletzt 1971 bei der Kapelle, manchem Dresdner wird aber sein Gastspiel mit den St. Petersburgern bei den Dresdner Musikfestspielen im alten Kulturpalast mit der „Leningrader Sinfonie“ in eindrücklicher Erinnerung sein. Das Programm des Kapell-Sonderkonzerts in der Semperoper am Freitagabend war vom ersten bis zum letzten Takt aus der Feder von Dmitri Schostakowitsch und die Zusammenstellung hätte den Komponisten kaum besser porträtieren können. Aus jeder Ecke lugte die Ambivalenz und Zerrissenheit eines Künstlers, der im Sowjetreich zwischen Anpassung und Kunstfreiheit, zwischen Ironie und Wahrheit, tiefer Empfindung und (vordergründig) emotionsloser Bedienung eines zu erfüllenden Zwecks lebte, arbeitete und tönte. Und so doppelbödig kann man gleich seine „Festliche Ouvertüre“ Opus 96 hören, die tatsächlich auch an diesem Abend zu nichts weniger als zur feierlichen, rein musikalischen Eröffnung des Gohrisch-Festivals diente. Und mit Verlaub: das Stück darf man auch gerne mal so „hinlegen“, wie es Temirkanov und die Kapelle ohne großes Brimborium, aber mit würzigem Nachschlag-Galopp vollführten.
Stilistisch frech und vielfältig mit Jazz- und Tanzanklängen präsentiert sich das in den 30-er Jahren entstandene Konzert für Klavier, Streichorchester und Trompete den Bühnenmusik- und Filmmusikwelten des Komponisten zugehörig. Der Pianist Denis Matsuev, aktueller Capell-Virtuos sowie jüngst gefeierter Solist und rühriger Netzwerker einer Russland-Tour der Staatskapelle, trat für den Solopart in der Semperoper an. Gefeiert wurde er für seine kraftvoll-packende Darstellung des Konzerts ebenso wie Helmut Fuchs (Solotrompeter der Sächsischen Staatskapelle) an der Trompete, dem ein edel-strahlender Kommentar vorbehalten war, wo Matsuev leider ein ums andere Mal den Bogen überspannte und jede Steigerung in Gewalt und/oder Geschwindigkeitsrausch umdeutete, was der Kadenz im letzten Satz zwar richtigerweise die Karikatur zuordnete, aber in diesem Brachialzugang ziemlich albern wirkte. Von der Partitur hatte sich Matsuev da längst entfernt, obwohl man im Lento-Satz einige Hoffnung aufgrund einiger besser austarierter Momente hatte. Auch die vor allem formal und in der Harmonik leicht verstörende Jazzimprovisation, die Matsuev als Encore gab, konnte nicht überzeugen, da Matsuev sich als menschgewordenes Player Piano präsentierte, was im Zirkusgebaren nicht mehr zur feinsinnigen Ironie eines Schostakowitsch passen wollte.
Alles nur Inszenierung? Genau dies könnte man sogar dem Komponisten selbst unterstellen, bezöge man sich lediglich auf das sich selbst an die Wand fahrende D-Dur der Finaltakte seiner 5. Sinfonie, Opus 47, seinem bis heute sicher meistgespielten sinfonischen Werk, das aber schon mit dem ersten Thema in den tiefen Ernst der Aussage führt – trotzdem Fragezeichen formulierend. Yuri Temirkanov formte die Interpretation aus beiden Händen – ohne Stab – mit einer derartigen Intensität des Zurückgenommenen Ichs gegenüber der Musik, das selbst Konzertmeister Matthias Wollong am Ende erst auf mehrfaches Bitten des Maestros zum Applaus aufstand. War noch im 1. Satz etwas Unordnung und ein verpatzter Einsatz zu hören, so türmte das von Temirkanov überraschend schnell genommene Allegretto eine zwingende Haltung auf: scharfe, schneidende, ja makabre Klänge bestimmten nun die Deutung und eine fast plötzliche Homogenität überströmte das Orchester bis hin zum Finale: das Largo war mit fast unheimlicher zeitlicher Übersicht bis zum Bersten spannend gestaltet, der Schlusssatz kam dann im genau passenden gemäßigten Tempo daher, was ein Hören mit leichter Distanz und gleichzeitigem Vollerleben ermöglichte. Diese respektvolle Verbundenheit des Dirigenten mit dem Werk und der zwingende Nachvollzug des Orchesters führte nach einer intensiven Stille zu donnerndem Applaus und Temirkanov bedankte sich bescheiden bei den Musikern im Orchester. Yuri Temirkanov bekam nach dem Konzert von Festivalleiter Tobias Niederschlag den 9. Internationalen Schostakowitsch-Preis Gohrisch verliehen.
Foto (c) Matthias Creutziger
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