Ekkehard Klemm leitete das Hochschulsinfonieorchester in der Semperoper-Matinee
Manchmal ist in Dresden schwer erklärbar, warum die eine Kirche beim Konzert voll ist und der andere Saal leer. Ein „b“-lastiges Programm mit Werken von Beethoven, Bartók und Brahms dürfte kaum der Grund gewesen sein, dass bei der Matinee des Dresdner Hochschulsinfonieorchesters in der Semperoper am Sonntag viele Plätze leer blieben. Oder war es genau deswegen? Das erste Werk des Vormittags jedenfalls war eindeutig Avantgarde – zumindest 1826, als das Wiener Publikum ungläubig zum ersten Mal der „Großen Fuge“ des Herrn van Beethoven, dem ursprünglich zum Streichquartett Opus 130 zugehörigen Finalsatz, lauschte. Das Stück verschwand danach nicht nur im Beethovenschen Giftschrank, es wird auch heutzutage selten von Quartetten gespielt, gleichwohl hat es nie die Faszination des Modernen verloren und ein aussagekräftiges Beethoven-Bild sollte auch diesen dionysischen Götterfunken unbedingt auf der Rechnung haben. Der Dirigent Michael Gielen erstellte von der „Großen Fuge“ eine Fassung für Streicher, die am Sonntag erklang und auf interessante Weise die Verflechtungen des Werks mit solistischen Parts bis an die letzten Pulte entschlüsselt.
Dirigent Ekkehard Klemm und das Hochschulsinfonieorchester mussten diesem ruppig-entschlossenen Beethoven-Satz, der einige Male konventionelle Fahrwasser von polyphonen Gesetzmäßigkeiten und Harmonik weit hinter sich läßt, mit voller Konzentration begegnen, womit an diesem Sonntagvormittag aber nicht jeder der Studenten gesegnet war. Trotz eines mutigen Beginns war erschreckend zu beobachten, dass die Gesamtfaktur niemals wirklich zusammenkam, weil einzelne Streicher den von vorne gewünschten Zugriff oder die technische Bewältigung immer wieder vermissen ließen. Das ist – auch angesichts einer über Jahre erlebten, hochrangigen Matineenhistorie mit sehr ordentlichen Repertoiredarbietungen und „auf der Stuhlkante“ gespielter Musik des 20. und 21. Jahrhunderts samt regelmäßiger Uraufführungen – einigermaßen erschreckend und setzte sich leider im zweiten Werk des Vormittags fort.
Sicher ist Béla Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ kein Stück zum Vom-Blatt-Spielen nach dem Morgenkakao, doch sollte nicht der Anspruch eines Hochschulorchesters mindestens so weit gedeihen, dass alle gemeinsam über die bloße Erarbeitung hinaus – die hier noch deutliche Mängel in Intonation, Zusammenspiel und Haltung trug – an eine Interpretation gelangen, die vom Zuhörer sofort aufnehmbar und fühlbar ist? Davon, und das berichteten auch die eher gleichgültigen bis ernsten Mienen der Studenten beim Applaus, war wenig in der Musik zu spüren. Nur einzelne Momente einer besonders hübsch gelungenen Klangfarbe oder einer guten Attacke schienen vor allem im 3. und 4. Satz auf. Somit blieb in dieser ersten Konzerthälfte der Eindruck von viel Arbeit und offensichtlich zu wenig Freude, und das ausgerechnet bei der Tätigkeit, die die meisten der Musiker ein Leben lang begleiten wird: dem Orchesterspiel.
Dennoch: manchmal ist es ja das sprichwörtliche falsche Bein, mit dem man aufsteht. Und selbst wenn es das richtige ist, kann das Hornthema zu Beginn von Johannes Brahms 2. Klavierkonzert B-Dur, Opus 83 ein Vabanque-Spiel sein. Mit dem sehr gut pulsierenden Yung Hoon Chun aus Südkorea am Flügel gelangte das Hochschulorchester in diesem Werk endlich in tiefere Gegenden einer Interpretation, die die Schönheiten aus der Partitur sorgfältiger herauskitzelte. Ekkehard Klemm tat da weiterhin viel, um mutigen Einsatz der Bläser und sanftes Wogen der Streicher zu einem Klangideal vor dem Schmuckvorhang zu verbinden. In diesem zweiten Konzertteil konnte er sich mehr auf seine Musiker verlassen, die nun auch in den Nebenstimmen Aufmerksamkeit für die richtigen Akkordtöne einbrachten, doch ganz ausgemergelt war vor allem der Intonationsteufel bei einigen Liege- und Paukentönen noch nicht. Yung Hoon Chun, der seinen Master in Dresden in der Klavierklasse von Arkadi Zenzipér absolviert, hatte jedenfalls ein reifes Brahms-Bild beizusteuern, technisch ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Schön war zu verfolgen, dass zwischen prankiger Schwere, die vor allem den Ecksätzen zugestanden werden darf, auch zarte Töne ihren Platz bekamen, wenn auch noch nicht immer im richtig gefühlten Schnitt bei den Übergängen oder in der Abphrasierung, der noch hier und da ein fühlbarer „Erledigt“-Stempel statt eines weiterfließenden Atems anhaftete. Aber Chun fühlte sich in den großen Bögen merklich wohl, und dieser allmähliche Wohlfühlfaktor übertrug sich dann auch auf das Ensemble, das am Ende des Konzerts aufatmete. Schöne Geste: die Blumen für den Dirigenten wurden von Ekkehard Klemm sofort weitergereicht – an die Erste Hornistin.
Bild (c) HL Böhme
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