Neue Aufnahmen des türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say
Fazil Say ist auf beiden Seiten der Bühne zu Hause – als aktiver und gefeierter Pianist ebenso wie als Komponist, der seismographisch seine Umgebung auf dem Notenpapier reflektiert. Beides ist in seinem Fall eine hochspannende und selten vorhersehbare Angelegenheit, weil der Künstler von einer ebenso rasanten wie sensiblen Auffassungsgabe geprägt ist, die er in der Interpretation eigener oder fremder Musik auch wieder in einen Ausdruck gießt. „Ich bin mehr okzidental aufgewachsen, geprägt durch mein Elternhaus wie auch das Konservatorium in Ankara und mein Leben in Deutschland und den USA.“, sagt Say über sich selbst.
Wenn er dann noch in persona als Klaviersolist um den halben Erdball reist, ist klar, dass er schon allein von seinen eigenen Lebenseindrücken her in einer Mischung der Kulturen, einer Art permanent rotierendem Schmelztiegel unterwegs ist. Das aber ist heutzutage immer verbreiteter und regt in der Kunst ja die Konfrontation wie auch die Inspiration, und bei Fazil Say vor allem die Fantasie an. In seinen eigenen Werken – jüngst etwa im von Martin Grubinger mit der Dresdner Philharmonie uraufgeführten Schlagzeugkonzert – ist das unschwer herauszuhören: türkische Rhythmen und Melodien verbinden sich mit einem westlich klassischen Musikstil, so dass seine Musik immer fasslich wirkt. Oft wirkt sie wie hingeworfen, was kein Qualitätsurteil sein muss, denn auch eine schnell getätigte Äußerung steht erst einmal, und sie klingt.
Das ist besonders in seiner monumentalen Klaviersonate „Troy Sonate“ spürbar, die jetzt, von Say selbst gespielt, auf einer CD mit Solo-Klavierwerken des Komponisten erschienen ist. Am Mythos Troja arbeitet sich Say in zehn hörbildgewaltigen Sätzen ab, deren Stile sich von Track zu Track neu erfinden – von indifferent seichter „new classical music“, hart an der Grenze zu Computerspiel-Soundtracks, bis hin zum etüdenartigen Achilles-Porträt ist hier alles dabei und man fühlt sich umgeben von einer Art modernen Fassung von Mussorgskijs „Bilder einer Ausstellung“, wobei Say dann am stärksten wirkt, wenn er den Stücken auch eine überzeugende Form gibt. Genau das gelingt ihm in den ebenfalls aufgenommenen aphoristischen „Moving Mansion“-Stücken über eine Episode aus Kemal Atatürks Leben allerdings besser; die Troja-Sonate, die Say auch am vermeintlichen Ort der antiken Stadt im Nordwesten der Türkei uraufführte, wirkt da eher wie aus Stein gehauen.
Dass Fazil Say aber ein Mann der Stimmungen und Emotionen ist, kann auch faszinieren, wie eine andere gerade veröffentlichte CD mit Orchesterwerken zeigt: neben seinem für Patricia Kopatchinskaja geschriebenen Violinkonzert „1001 Nights in the Harem“ aus dem Jahr 2007 sind zwei kürzere neue Stücke auf dem Tonträger: der „Grand Bazaar“ gibt sich wie eine moderne sinfonische Dichtung und wir beamen uns tatsächlich mit Says Musik in die geschäftige Welt von Istanbuls Markttreiben, um einen Track weiter mit der „China Rhapsody“ für Klavier und Orchester in einer ganz anderen Kulturwelt zu landen. Fazil Say würde sicherlich zustimmen, dass er keinesfalls den Anspruch hegt, sich nun auch noch die asiatische Welt zu eigen zu machen, aber seine bunte, manchmal verspielte Sicht auf die Welt um ihn herum bleibt fantasievoll. Und vielleicht ist es auch das, was ihn vom Gros der vielen Pianisten abhebt, wenn er die Musik der großen Komponisten interpretiert? Sein unbändiges Temperament, sein Forscherdrang, aber auch eine fast entfesselte Virtuosität führen zu ungewöhnlichen Hörerlebnissen.
Fazil Says jüngste Klaviermusik-Aufnahme widmet sich französischer Musik von Claude Debussy und Erik Satie, und wenn Say das erste Buch der „Préludes“ interpretiert, ist seine Handschrift unverkennbar. Wenn Debussy ihm „tumultueux“ als Beschreibung des Westwinds vorschreibt, nimmt er dies ebenso ernst, wie die Glocken der „Cathédrale Engloutie“ tatsächlich im See zu versenken. Gespannt ist man, wie Say sich der unendlichen Ruhe der verrückt-entrückten Meditationen der Klavierzyklen „Gnossiennes“ und „Gymnopédies“ von Satie nähert, und man wird belohnt: hier ist endlich alles im Fluss des Lebens und man fragt nicht mehr, ob diese oder jene Note zu langsam oder zu laut sei, diese Musik passiert einfach und da hat Say „seinen“ Satie wohl am besten getroffen.
- Claude Debussy: Préludes I, Erik Satie: Gnossiennes, Gymnopédies / Fazil Say, Klavier (Warner Classics, 2018)
- Fazil Say: 1001 Nights in Harem, Grand Bazaar, China Rhapsody, ORF Sinfonieorchester Wien, Howard Griffiths, Iskandar Widjaja, Iraz Yildiz (Sony, 2019)
- Fazil Say: Troy Sonata, gespielt von Fazil Say (Warner Classics, 2019)
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