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Matt schimmernder Glanz

Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden im Kulturpalast

Eigentlich hätte die Staatskapelle Dresden am Dienstag im chinesischen Qingdao gespielt, doch die Asien-Tournee unter Leitung von Chefdirigent Christian Thielemann konnte coronabedingt nicht durchgeführt werden. Seit der Saisoneröffnung hat die Staatskapelle Dresden ihren Konzertplan überarbeitet und den aktuellen Möglichkeiten angepasst. Zwei neu angesetzte Sonderkonzerte im Kulturpalast in diesen Herbstwochen bedeuten da mehr als ein Trostpflaster für die Zuhörer und für die Musiker eben auch die leidenschaftliche Ausübung ihres Berufes (das zu betonen allein schon merkwürdig genug erscheint). Die Musik ist noch da, die Staatskapelle Dresden auch, und Christian Thielemann strahlte von Beginn an lustvolles Herangehen an die Sache aus.

Zuerst durften die Blechbläser des Orchesters von der Chorempore aus brillieren: dass die beiden Fanfaren aus dem Jahr 1924 hier weniger bekannt sind, dürfte daran liegen, dass Strauss sie für explizite Ereignisse in Wien komponierte und „den lieben herrlichen Wiener Philharmonikern“ widmete, wo eine der beiden Fanfaren noch heute jedes Jahr den Philharmonikerball im Saal des Musikvereins einläutet. Selbstverständlich hätte er auch den „lieben herrlichen Dresdnern“ bei der Aufführung am Dienstag eine Depesche zukommen lassen, denn mit soviel Anmut und Differenzierung traf Thielemann mit der Kapelle genau den richtigen Ton einer Feierlichkeit, zu der bloß das passende Ereignis fehlte: wirbelnde Walzer gehören derzeit ins Reich der Fantasie, und das folgende Stück – obgleich ebenfalls in Wien entstanden – hat mit solchen Extrovertiertheiten wenig am Hut. Ludwig van Beethovens 4. Klavierkonzert G-Dur war erst kürzlich an gleicher Stelle zu hören und erlaubt sei die Überlegung, dass sich in unsteten Zeiten wie diesen manche Kompositionen erst recht ihren Ausweis der Meisterlichkeit zeigen und es auch mühelos mit den Farben und Anstrengungen der Gegenwart aufnehmen können.

Das von den ersten Takten im Klavier-Solo deutlich nach innen gewandte, fragende und suchende Stück lebt von der Darstellung des Unaufgelösten, man hat den Eindruck, es ist ständig etwas in Veränderung begriffen. Mit der Staatskapelle Dresden hat Rudolf Buchbinder das Stück schon mehrfach gespielt, auch alleine vom Klavier aus dirigierend. Nun hatte der österreichische Pianist, der gerade den „Opus Klassik“-Preis für sein Lebenswerk verliehen bekam, Thielemann an seiner Seite, was natürlich ein besonderes musikalisches Gespräch ermöglichte. Das allerdings entfaltete sich im 1. Satz noch nicht überzeugend, beide leiteten ihren Part zwar schönstmöglich ein, aber das war – mit allem Willen zur Präzision und der immer neuen Suche nach der passenden Klangfarbe – dann doch ein wenig lapidar und nett dahermusiziert, eine tiefere Bewegung aus dem Stück heraus war nicht auszumachen. Packend allerdings war der 2. Satz im stetigen Kontrast zwischen dem auffahrenden Orchester und dem insistierend lyrischen Klavierpart gestaltet, jetzt war auch die Klangfarbe von Buchbinder so gut getroffen, dass die Spannung bis zum Übergang ins Rondo zu tragen vermochte. Der letzte Satz blieb wiederum auf eine Art seriös, dass man sich zum einen über die vollkommen kluge und in allen Belangen beanstandungslose Spielart Buchbinders freute, aber sich insgeheim fragte, was „via Beethoven“ eigentlich die Botschaft dieses Konzerts an diesem Abend war.

Das war bei der „Verklärten Nacht“ von Arnold Schönberg, die nach der Pause gegeben wurde, ungleich deutlicher zu erkennen. Der Mond hing da groß über den Streichern, Wald- und Nachtgeräusche flirrten über die Saiten und Richard Dehmels sich im Verlauf dieser dreißig Minuten läuterndes Liebespaar zieht mit großen Emotionen mitten über die Bühne. Bei Thielemanns immer wieder nachgreifendem, die Musik intensivierendem Dirigat fehlte eigentlich nur, dass Moose und Wurzeln sich ins Parkett ausbreiteten. Das war eine kleine Sternstunde einer natürlich auch meisterhaft komponierten Tondichtung, deren hervorragend von der Staatskapelle entwickelter mattschimmernder Glanz aber auch beim Zuhören eine Ferne und Fremde fühlen ließ – dessen, was wir derzeit vermissen, und was wir bewahren sollten.

Fotos (c) Matthias Creutziger


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