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Seriöse Annäherung

Daniel Hopes neue CD mit Violinmusik von Alfred Schnittke

Es gibt einige Fälle, in denen das Werk von Komponisten erst lange nach dem Tod des Schöpfers eine intensive, angemesse Würdigung erlebt, manchmal sogar eine Renaissance. Berechenbar ist das nicht, und manchmal steht man mit Stirnrunzeln vor in den Konzertsaal geretteten Stücken („Im Sommerwind“ von Anton Webern wäre so ein Beispiel), die ohne Kontext ein eher verqueres Komponistenbild abgeben. 1998 starb der bedeutende russisch-deutsche Komponist Alfred Schnittke, und auch hier gelang oft nur ein punktuelles Erinnern; in der Musikwelt ist die Genialität und Originalität des Komponisten jedoch unbestritten. In Dresden wurde 2009 etwa eine Rekonstruktion der posthumen 9. Sinfonie von der Dresdner Philharmonie in der Frauenkirche vorgestellt und auf CD eingespielt, und auch der Dresdner Kammerchor hat erst 2018 Schnittkes „Bußverse“ aufgeführt.

Die neue CD von Geiger Daniel Hope

Schnittke hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich der Musiktradition seiner Ahnen vollkommen bewusst ist und hat aus diesem Wissens- und Erfahrungsschatz ein neues, ganz eigen gefärbtes OEuvre geformt. Auf der anderen Seite steht bei ihm ein in tiefe Regionen weisender Glauben, der sich zwischen religiösem Ritus und eigener Formung komplexer Gefühlswelten äußert. Hinzu kommt ein derber Humor, der zwischen Sarkasmus und süßlichem Raffinement pendelt und schließlich die unabdingbare Verbindung mit der eigenen Biografie, die den 1934 in Engels, in der damaligen deutschen Wolgarepublik, geborenen Schnittke 1992 in den Westen führte und schließlich unter vielen gesundheitlichen Rückschlägen ein Spätwerk verursachte, das sogar dem Tod ein Schnippchen schlagen wollte.

Das alles auch nur ansatzweise auf einem Tonträger unterzubringen, ist eigentlich ein aussichtsloses Unterfangen, und doch ist es dem Geiger Daniel Hope mit einer Auswahl aus den Violin-Kammermusikwerken gelungen, eine Art Porträt des Komponisten aus diesem Genre heraus zusammenzustellen. Immer wieder nimmt Schnittke hier Fäden der Alten Musik auf wie bei der „Suite im alten Stil“ oder dem „Gratulationsrondo“, um sich in einen Dialog zu begeben, der Zeiten und Welten überspannt. Oder es gibt hier Stücke kennenzulernen, die aus Schnittkes umfangreichem Filmmusikwerk extrahiert sind, wie der berühmte Tango aus „Agony“ (1974).

Bislang waren es vor allem russische Interpreten, die eine besonders starke Verbindung zu diesen außergewöhnlichen Werken hatten, doch dass sich nun Daniel Hope auf einer ganzen CD ausschließlich mit Schnittke beschäftigt, hat auch einen biografischen Hintergrund – Hope suchte schon in seinen Ausbildungsjahren als junger Geiger den Kontakt zu dem seit 1992 in Hamburg lebenden Komponisten. Nach seinem Tod übergab ihm Irina Schnittke eine frühe Violinsonate, die Hope bereits 2004 auf CD eingespielt hat, 2014 widmete sich Hope erneut einigen Schnittke-Werken in einer Aufnahme.

Auf der neuen CD steht nun die viersätzige 1. Violinsonate aus dem Jahr 1963 herausragend im Mittelpunkt zwischen kleineren und kürzeren Stücken, wobei man bei Schnittke niemals von Gelegenheitswerken sprechen kann, was etwa das seltsam versch(r)obene Arrangement des Weihnachtsliedes „Stille Nacht“ (1978) verdeutlicht. Auch das „Madrigal in memoriam Oleg Kagan“ ist vom ersten bis zum letzten Takt eine bekennende Musik ohne Maskierung oder Chiffrierung und läßt uns daher ebenso traurig zurück, wie wohl Schnittke dieses Gefühl bei der Niederschrift überkommen sein muss. Hope und sein Klavierbegleiter Alexey Botvinov nähern sich dieser Musik mit der gebotenen Seriösität und dem Versuch, für die vielen Gefühlsnuancen zwischen Menuett und Cluster-Abgründen den passenden Ton zu finden.

Das wirkt manchmal bei Hope distanziert und erhaben, wo Schnittkes russische Kollegen in manchen Erstaufnahmen der Stücke ungleich ruppiger zu Werke gingen. Doch gerade wer den Komponisten zum ersten Mal kennenlernen will, erhält mit der Musik einen willkommenen Einstieg, der auch genügend Fragen für eine weiterführende Beschäftigung mit Schnittke aufwirft. Dass die CD allerdings zu den Werken wie auch zur Biografie des Komponisten keine informativen Texte im Booklet bereithält (der einzige Essay stammt von Daniel Hope selbst), ist der Begegnung mit so einem interessanten Komponisten kaum zuträglich – diese redaktionelle Sparflamme ist leider auch bei vielen Neuaufnahmen anderer major Labels ebenso zu beobachten und keine erfreuliche Entwicklung.

 


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