Geht Ihnen das auch so? Wenn man einmal eine Künstlerin oder einen Künstler für sich entdeckt und schätzen gelernt hat, ist man ganz hungrig auf deren jeweils neue Projekte und Inspirationen. Das ist in der Popmusikwelt, in der die Fanbase eine ganz wichtige Funktion hat, völlig normal. Aber auch in der Klassik lernt man so seine Favoriten nach und nach immer besser kennen, staunt über Seitenwege oder Unerwartetes und ist ein hörender Begleiter eines künstlerischen Weges, der sich im besten Fall nicht an kommerziellen Vorgaben orientiert, sondern den Ausdruck der Persönlichkeit in der Musik formt.
Mit Laura Farré Rozada ist es mir so ergangen. Das Debütalbum der 30-jährigen Pianistin vor drei Jahren ließ mich aufhorchen, weil ihr tiefer Sinn für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts sich mit Entdeckerlust und großem pianistischem Können paart. Auf ihrem Album „The French Reverie“ gelang es Laura Farré Rozada vor allem, Farbtöne der französischen Musik offenzulegen, die zwar etwa über die besondere Art des musikalischen Fantasierens bekannt erscheinen, aber in der zeitgenössischen Musik mit anderen Strukturen und Kompositionsarten neu verbunden werden – als Paradebeispiel hatte sie dafür die Klaviersonate von Henri Dutilleux ins Zentrum der Aufnahme gestellt.
Nun ist das neue, zweite Album von Laura Farré Rozada erschienen und, wie eingangs behauptet, ist es ein weiterer Schritt auf ihrem künstlerischen Weg, dabei ebenso vorhersagbar (im guten Sinne!) wie überraschend. Denn wieder ist es ein Konzeptalbum geworden, wobei der Begriff eigentlich furchtbar ist, denn er erfasst nicht die Tiefe der Beschäftigung, die die Pianistin für dieses Album aufgewendet hat.
Schon der Titel trägt uns assoziativ hinweg, denn „Nimbus“ führt möglicherweise in wolkige Wettersphären, hat aber über den meteorologischen Aspekt hinaus auch die Bedeutung eines Rufes, einer Aura, mit der etwas umgeben ist. Der Lichtaspekt kommt hinzu, wenn man Nimbus in Richtung eines Heiligenscheins begreift – ein Seitengedanke zur Kranzbedeutung „corona“ kommt auf, Nimbus eröffnet aber eher einen offenen, manchmal ungreifbaren Bereich.
Doch die zweite Überraschung (die erste ist schon das Auspacken der CD selbst, die beim katalanischen Label seedmusic in fantastischem Book-Design erschienen ist) folgt mit den einleitenden Worten im Booklet und einem Blick auf die Werke: tatsächlich geht es hier in den neun Werken um Wasser, mal mehr, mal weniger explizit, aber doch in den vielen Ebenen zwischen einer stillen Wasserfläche und einem Seesturm, im Fließen und sogar auch in der Anordnung der einzelnen Tropfen. Laura Farré Rozada ist ja mit gleicher Leidenschaft auch forschende Mathematikerin, was nicht nur das Klavierüben und -Lernen der neuen Werke betrifft und beeinflusst, sondern ihrem Spiel und Verständnis von Musik auch einen besonderen Sinn beispielsweise für Räume und Verläufe eingibt.
Gleich das erste Werk, Pierre Jodlowskis „Serie Blanche“ eröffnet die Assoziation einer sich immer mehr von Wasser bedeckenden Fläche, bis irgendwann das Bild im Kopf nicht mehr funktioniert, weil das Stück zu gewaltig wird. Kompositionen von Unsuk Chin (zwei Etüden) und Toru Takemitsu (sein bekanntes Klavierstück „Rain Tree Sketch“) holen uns in die Betrachtung des Wassers zurück, gleichzeitig grüßt im Hintergrund Olivier Messiaen, der zwar selbst nicht auf der CD vertreten ist – vielleicht ja wieder in der Fortsetzung dieser französisch geprägten Reihe? – aber dessen Schüler Takemitsu war. Auch bei Josep Maria Guix „Drizzle draft“ ist der französisch-impressionistische Einfluss spürbar und damit ist das Werk eine ideale Vorbereitung für das wohl bekannteste Stück auf der CD, Maurice Ravels „Gaspard de la Nuit“, geschrieben übrigens in Messiaens Geburtsjahr 1908.
Laura Farré Rozada besitzt auch für diese Musik ein enormes Gespür und weiß dabei ihre eigene Handschrift mit den Anforderungen von Ravels herausragender Partitur intelligent zu verbinden. Damit entsteht eine Interpretation, die besonders hinhorchen läßt, wenn man die Melodien von Ravel schon im Ohr hat: die Pianistin vermeidet Süffisanz und Dekor, findet aber in „Le Gibet“ genau den stillen Ton, den der von der Poesie von Aloysius Bertrand inspirierte Zyklus hier benötigt.
Vom Kobold Scarbo, den Laura Farré Rozada im dritten Teil von „Gaspard de la Nuit“ durchaus wild wüten läßt, geht es in dunklere Sphären der Wasserbetrachtung, aber die Poesie zieht sich auch hier wie ein Faden durch die Musik: Anna Þorvaldsdóttirs „Scape“ eröffnet eine weite Klangfläche, in die man als Hörer unweigerlich hineingezogen wird. Dai Fujikura und Yixuan Zhao schauen noch einmal anders auf die nun aufgebrochenen Themen – Fujikura arbeitet eher im mechanisch-repetitiven Raum, während das für die Pianistin entstandene Stück „Still Life“ von Yixuan Zhao – wie das Stück von Guix übrigens eine Ersteinspielung – eine Finalatmosphäre schafft, indem es an Fujikuras letzten Akkord anschließt und einen assoziativen Bogen zum Beginn des Albums, zu Jodlowskis Riesenwassertropfen, schafft.
Wer sich bis hierhin in die von Laura Farré Rozada grandios dargebotene, bekannte und unbekannte Klaviermusik vertieft hat, kann eigentlich nur gewinnen, weil das Album erneut wie schon bereits „The French Reverie“ ein ungeheuer breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten des zeitgenössisch behandelten Klaviers zeigt, gleichzeitig mit der Tradition und mit einem spannenden, unerschöpflichen Thema verbunden. Ich freue mich bereits auf die dritte CD – und werde hier natürlich auch posten, wenn Laura Farré Rozada mit dem Programm auftreten wird, was ihr wie allen Künstlerinnen und Künstlern auch, die noch im Stillen wirken, bald zu wünschen ist.
Fotos (c) Silvia Poch
- Laura Farré Rozada: Nimbus, Werke von Jodlowski, Chin, Takemitsu, Guix, Ravel, Þorvaldsdóttir, Fujikura und Zhao — Seedmusic 2021, zu beziehen direkt vom Label.
- ein aktuelles Interview mit Laura Farré Rozada, Diario de Sevilla (spanisch)
Auf mehrlicht befinden sich mehr als 600 Rezensionen, Interviews, Reiseberichte und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser*in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende unterstützen wollen, freue ich mich sehr.
Kommentaren