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Ein Orchester mit ungeheurer Präzision

Franz Welser-Möst und das Cleveland Orchestra gastieren in Dresden

Gleich drei amerikanische Orchester holt Jan Vogler für sein kleines, aber hochkarätiges Septemberfestival als Annex zu den Dresdner Musikfestspielen diese Woche an die Elbe. Am Sonntag, den 4. September gastiert das Cleveland Orchestra unter Leitung von Franz Welser-Möst im Kulturpalast mit einem reinen Strauss-Programm. Das 1918 gegründete Orchester gehört zu den „Big Five“ der großen Sinfonieorchester im Osten der US-Staaten, auch wenn Cleveland gar nicht die Hauptstadt des Bundesstaates Ohio ist und nur 383.000 Einwohner zählt. Doch der Status mag sich aus der Historie begründen – große Dirigenten wie George Szell, Pierre Boulez oder Christoph von Dohnányi haben die Entwicklung des Klangkörpers geprägt, was auch auf zahlreichen Tonträgern dokumentiert ist.

Das Cleveland Orchestra im Konzert in der Severance Hall © Roger Mastroianni

Seit nunmehr zwanzig Jahren leitet der Österreicher Franz Welser-Möst das Cleveland Orchestra. Eine so lange Chefzeit ist im schnellebigen Klassikbetrieb eher eine Seltenheit, und gerade ist seine Amtszeit bis 2027 verlängert worden. Im Gespräch bezeichnet der Franz Welser-Möst sich als „Teilzeit-Amerikaner“ – die Chefposition verlangt im Jahreslauf natürlich physische Präsenz und eine Menge Verantwortung. Doch Welser-Möst hat seiner Heimat nie ganz entsagt, so blieb die Verbundenheit zu den Wiener Philharmonikern, deren Neujahrskonzerte er schon zweimal leitete, ebenso wie die zu den Salzburger Festspielen, bei denen er in diesem Sommer Puccinis Opernzyklus „Il Trittico“ zur Aufführung brachte. Und dass er „der Oper verfallen“ ist, werden auch die Wiener bald wieder schätzen können, denn er wird auch zu weiteren Produktionen an die Wiener Staatsoper zurückkehren.

Nach Dresden bringt er nun „seine“ Amerikaner mit und mit ihnen ein reines Richard-Strauss-Programm, das auch auf der jüngsten CD des Ensembles aufgenommen wurde. In den letzten Jahren, beginnend mit dem 100jährigen Bestehen des Orchesters, startete das Cleveland Orchestra eine eigene CD-Reihe, die die besonderen Qualitäten des Ensembles dokumentiert. Und tatsächlich ist es die Vielfalt und Breite des Repertoires, die mit ungeheurer Präzision und Interpretationsfreude auf den Scheiben festgehalten ist. „Wir wollten einmal zeigen, was wir hier wirklich machen. Wir sind ja doch zumindest weit weg von den klassischen Musikzentren der Welt, arbeiten hier aber mit einem enorm hohen Anspruch.“

Was ihn am Orchester so fasziniere, sei dass die Musiker zur ersten Probe immer tiptop vorbereitet erscheinen. So halte man sich in gegenseitigen Herausforderungen frisch. Die berühmte Klangkultur des Orchesters, die „Eigenheit im positiven Sinne“ führt Welser-Möst nicht nur auf die Tradition und die historischen Orchestererzieher zurück, sondern auch auf den Saal, dessen Funktion als Instrument man nicht unterschätzen sollte. Die 1931 eröffnete Severance Hall in Cleveland klinge hervorragend, sei aber auch enorm transparent: „Man hört alles!“ sagt Welser-Möst und erklärt damit auch die besonders aufmerksame Spielkultur seines Ensembles. Insofern freue er sich auch auf sein Debüt im Kulturpalast, dessen besondere akustische Qualitäten ihm schon zugetragen worden seien.

Die Neugier auf Partituren kennt indes sowohl beim Dirigenten, beim Orchester wie auch beim durstigen Publikum (Cleveland kann sich des jüngsten Orchesterpublikums in den USA rühmen) keine Grenzen. Welser-Möst hat einmal nachzählen lassen, dass er in seiner Amtszeit bislang über 1000 verschiedene Werke in Cleveland dirigiert hat. „Da wirkt natürlich dann eine ‚Eroica‘ ganz anders, wenn man sie mal eine längere Zeit nicht spielt.“ Und gegen die häuftige Präsenz eines Stücks wie Dvořáks Sinfonie „Aus der neuen Welt“ hatte sich das Orchester einmal sogar per Petition ausgesprochen. Welser-Möst zog mit und holte die Sinfonie erst nach zehn Jahren wieder aus der Versenkung, als das Cleveland Orchestra parallel und erstmals Dvořáks Oper „Rusalka“ aufführte – und in diesem neuen Kontext war die „neue Welt“ tatsächlich neu erstanden. Auf der neuen CD ist neben den im Konzert gespielten Tondichtungen „Macbeth“ und „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ auch „Don Juan“ enthalten – somit nahezu alle berühmteren Stücke aus der fruchtbaren Schaffensphase des Mittzwanzigers Richard Strauss.

Im Konzert in Dresden wird Welser-Möst allerdings auch einen Ausflug in die Opernwelt von Strauss wagen, in ganz eigener Sichtweise: aus der Oper „Der Rosenkavalier“ gibt es zwar eine bekannte Orchestersuite, die aber mehr die Highlights nur streift und zum Teil von fremder Hand stammt. Franz Welser-Möst präsentiert nun im Dresdner Konzert eine eigene Bearbeitung („keine Note ist von mir, es ist alles Strauss!“), die den dramaturgischen Verlauf der Oper beachtet, so dass man sich beim Hören nun ganz auf die detailreiche Instrumentierung und natürlich auf die exzellenten Klangfarben des Cleveland Orchestras konzentrieren kann.

  • Konzert im Kulturpalast am 4.9.2022, 19.30 Uhr, Werke von Richard Strauss, Cleveland Orchestra, Leitung Franz Welser-Möst, Tickets über den Besucherservice der Dresdner Musikfestspiele erhältlich.
  • CD Richard Strauss, Tondichtungen „Macbeth“, „Don Juan“, „Till Eulenspiegels lustige Streiche“, Cleveland Orchestra, Franz Welser-Möst (2022, Hybrid SACD, Label Cleveland, Vertrieb über Note1)

 

Foto Franz Welser-Möst © Julia Wesely

 


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Veröffentlicht in Features Rezensionen

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