Es wäre ja ein schönes Motto für 2023, dieses „Schweig, und tanze!“, wenn man nicht wüßte, wieviel Blut da auf den Lippen der ausrufenden Dame klebt. Dass ich mir Richard Strauss‘ Oper „Elektra“ als ersten Opernbesuch des Jahres ausgesucht habe, hat weniger mit eventuellen Vorlieben für mordlüsternde Unterhaltung, sei es aus griechischer Mythologie oder dem sonntäglichen Tatort zu tun, sondern mit dieser direkten Wucht des Werkes, das ich seit meinem ersten Liveerlebnis (die Ruth-Berghaus-Inszenierung in Dresden) verinnerlicht habe und daher gerne als gezielten Schlag in die musikalische Magengrube dann und wann benötige.
Dafür saßen gestern in der Wiener Staatsoper über 100 Musiker im Graben und auf der Bühne agierte ein exzellentes Ensemble, getragen von der Damen-Trias Elektra, Chrysothemis und Klytämnestra. Nina Stemme (Elektra) ist und bleibt eine Instanz in dieser Rolle. Leicht kommen einem da Adjektive aus dem außerterrestrischen Bereich zu dieser Sangeskraft in den Sinn, und trotzdem ist es gerade ihre auch spielerisch in jedem Moment gezeigte Erdverbundenheit, die solche Höhepunkte erzeugt, die sich über das ganze Stück hinweg ziehen und auch in textreicheren, vermeintlich weniger dramatischen Passagen das Ohr mitreißt.
Das geht einem bei Chrysothemis (Simone Schneider) und Klytämnestra (Violeta Urmana, Debüt an der Staatsoper) ähnlich. In der 73. Aufführung der legendären Harry Kupfer-Inszenierung aus dem Jahr 1989 formen beide stimmlich wie spielerisch ein starkes, eigenständiges Charakterbild ihrer Figuren und behaupten sich neben Stemme in den großen Dialogszenen. Christof Fischesser (Orest) gibt ebenfalls sein Debüt, ist zu Beginn seines Auftritts jedoch sehr bedächtig und bedeutsam unterwegs, was den Fluss etwas ins Stocken geraten läßt.
Womit wir bei einem weiteren Hauptdarsteller der Oper, nämlich dem Orchester wären, das eben diesen Fluss unter Leitung des Briten Alexander Soddy zumeist gut, in vielen kleiner besetzten Passagen auch sehr klangschön und ausbalanciert zu gestalten weiß. Insbesondere das erste Drittel nimmt Soddy aber mit Präzision und besonderer Vorsicht, und einige Male klingen da die Blechbläser eher staubig denn saftig, weil die Zurücknahme zu stark ausfällt. Und manches, was sich bei Strauss etwa im wogendem Dreier abspielt, hat noch nicht ganz die richtige Zugkraft; da freut man sich dann, dass Soddy spätestens ab dem Zwischenspiel in der Mordszene zu mehr Wildheit bereit ist – einen Gummipunkt gibt’s für den Paukisten in der Schlussszene: ich habe noch nie jemanden so schnell die Instrumente umstimmen und gleichzeitig (!) spielen sehen.
Für die Solisten, Soddy und das Orchester gab es tosenden Applaus, der sich auch für das solide Ensemble und die Statisten fortsetzte. Schön auch zu beobachten, dass die Wiener Staatsoper nahezu ausverkauft in dieser Repertoirevorstellung war. Aber wer wollte dieses bis zum Bersten spannende Stück in solch hochrangiger Besetzung auch nicht sehen und hören?
Die Erstaufführung dieser Inszenierung vom 10.6.1989, u.a. mit Eva Marton, Cheryl Studer, Brigitte Fassbaender und Franz Grundheber findet sich auf youtube, Dirigent war damals Claudio Abbado, der heftige Buhs empfing, weniger wohl wegen der Inszenierung, sondern weil er damals nach Berlin ging.
noch einmal am 8. und 11. Jänner, Wiener Staatsoper, Solistenrezital Nina Stemme am 21. März
Fotos (c) Alexander Keuk
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Na ja ich! Ich würde es nicht unbedingt sehen wollen. Aber das hängt damit zusammen, dass mir gerade dieser Stoff (Elektra) und Salome vom historischen Gepräge zu widerlich sind. Da kann Strauss noch so toll komponieren, ich würde am liebsten alles Darsteller umbringen, gerade wenn sie so glaubwürdig spielen.
Dabei bin ich ein echter Strauss-Fan. Der Rosenkavalier war die erste Oper, die ich auf Stehplatz im Alter von 15 Jahren sehen konnte.
Aber ich erfreue mich an deinen Kritiken. Ich glaube, Wien ist schon das richtige Pflaster für dich, oder?
Dann müßtest du aber als erstes Hofmannsthal umbringen. Ich finde ja durchaus nichts Schlechtes darin, die Schattenseiten der Menschheit in Oper zu komprimieren. Beide Opern sind allerdings in einer gewissen theatralischen Definition Murks und deswegen hat man auch so oft kaum zu ertragendes Stehtheater, immerhin finde ich Kupfer, Chéreau und Berghaus noch die interessantesten „Lösungen“.
Nein, weder Hoffmannsthal noch Oscar Wilde (siehe Salome) mache ich einen Vorwurf. Ich mag beide sehr. Nur die Themen sind mir zuwider.
Ich könnte daher genauso gut Wagner ablehnen, was ich aber als begeisterter Wagnerianer nicht tue.
Einige Librettos sind mir halt aufgrund des Inhalts nicht recht. Aber das ist eine persönliche Einstellung und hat nichts mit der Güte der Werke zu tun.
Ah, gut, so verstehe ich es.