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Drei Filmtipps

Neben der Konzertlandschaft erkunde ich natürlich hier auch Kinoumgebung, und die Zeit nach Weihnachten und in den ruhigen ersten Tagen des neuen Jahres bot ausgiebig Gelegenheit dazu. Wien geizt ja nicht mit Kinos und über’s Jahr hinweg gibt es etliche Festivals (wie die Viennale), Reihen und Premieren, so dass man hier als Kulturfreund ganz schön Maß halten muss. Über die schillernde Kinowelt von Wien (es gab einmal über 200 Kinos in der Stadt!) ist gerade übrigens eine umfassende vierbändige Edition des Filmarchivs Austria erschienen (hier ein Beitrag des ORF Kultur heute dazu), und darin geht es natürlich auch um Örtlichkeiten und Besonderheiten der jeweiligen Kinos, die sich natürlich – so es die entsprechenden Kinos noch gibt – am besten live erkunden lassen. Eines der berühmteren Kinos wurde gerade per Crowdfunding gerettet und wird bald wiederöffnen – das Bellaria Kino am Volkstheater, dem auch schon ein eigener Film gewidmet wurde.

Wenn es dunkel wird im 6. Bezirk in Wien, leuchtet immer noch die Tafel vom TOP-Kino.

So hat jedes Kino seine liebenswürdigen oder schrulligen Eigenheiten, programmatisch sowieso, aber auch in puncto Gemütlichkeit, die ich nach meinen Erstbesuchen nur kurz erwähne, es soll ja hier um die Filme gehen: Im Top-Kino war es mir zu kalt und man sitzt quasi im Hinterzimmer der großen gleichnamigen Bar. Das Cine-Center am Fleischmarkt besticht durch seine emotionale Kälte in den Gängen, es ist einfach ein funktionelles Kino, ähnlich dem Apollo CinePlex an der Gumpendorfer Straße. Richtig wohl fühle ich mich tatsächlich im Filmhaus am Spittelberg, und bei den großen Kinos ist das Gartenbaukino und das Stadtkino im Künstlerhaus von besonderer Atmosphäre.

 

Gesehen habe ich zunächst den Dokumentarfilm über Elfriede Jelinek  „Die Sprache von der Leine lassen“ von Claudia Klein, ein sehr gefühlvoller, eindringlicher Film über die Autorin, der durch den Wechsel zwischen biografischen Stationen mit historischem Material und von prominenten Stimmen gelesenen Texten besticht. Es ist eine Perspektive, die behutsam entdeckt, aufdeckt, aber Jelinek vor allem zuhört, denn ihre (An-) Sprache ist auch der Autorin das Wichtigste. Das für mich einzig Verstörende ist, dass der Film etwa nach dem Literaturnobelpreis, den die Autorin 2004 erhielt, abbricht, somit fehlen beinahe die letzten zwanzig Jahre, was aber wohl den Rückzug Jelineks aus der Öffentlichkeit unterstreichen soll – produktiv ist sie ja weiterhin. 2022 erschien bei Rowohlt eine Art Lebensbilanz unter dem Titel „Angabe der Person“.

Es folgte kurz nach Weihnachten „Was man von hier aus sehen kann“, ein Film von Aron Lehmann nach dem Buch von Mariana Leky. Das warf bei mir wieder die alte Frage auf, ob ich ins Kino gehen kann, wenn ich schon das Buch kenne. Generell würde ich mittlerweile mit einem „Aber ja“ antworten, und sei es wegen der Erfahrung zweier völlig unterschiedlicher Welten, die nebeneinander bestehen können. Hier war es ein Glücksfall, dass meine Figurenwelt, die ich mir beim Lesen aufgestellt hatte, fast perfekt mit den Filmfiguren harmonierte, meine Phantasie quasi also nur noch auscoloriert und in Bewegung versetzt wurde. Denn natürlich guckte die traurige Marlies genauso wie im Buch, und dass ich die fantastische Corinna Harfouch als Selma vorgesetzt bekam, war ein besonderes Geschenk. Die Erzählerin in Film und Buch ist die 22-jährige Luise, die überzeugend von Luna Wedler gespielt wird.

Um es kurz zusammenzufassen: es ist ein Dorfmärchen, es ist ein Film für’s Herz und ich empfehle ihn trotzdem und genau deswegen. Weil er auf eine Art eine anrührende Ebene ansteuert und diese auch nie verlässt, und in der schlicht alles passieren darf, weil alle in ihrer Liebenswürdigkeit in diesem Film Platz finden. Und jeder schon mal einen riesigen Hund haben wollte, der Alaska heißt.

Vor wenigen Tagen war ich nun noch in „Acht Berge“ („Le otto montagne“) von Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch, nach einem Roman von Paolo Cognetti. Es geht um zwei Männer in den italienischen Alpen, die ganz unterschiedliche Lebenswege einschlagen – während Bruno (Alessandro Borghi) in dem Bergdorf Grana im Aostatal aufgewachsen ist und es nie verlässt, ist der aus Turin stammende Pietro (Luca Marinelli) als Kind in den Sommerurlauben dort – sein dort Zuflucht suchender Vater vermacht ihm soäter ein Grundstück hoch oben in den Bergen, auf dem Bruno und Pietro gemeinsam eine Hütte errichten. Mich hat der Film wegen der starken Naturaufnahmen berührt, aber auch durch das intensive Spiel der beiden Schauspieler und Pietros Vater (Filippo Timi), der im ersten Teil des Films mit den Kindern in die Höhen wandert.

„Acht Berge“ strahlt eine große Ruhe und Nachdenklichkeit aus, Licht und Kamera kosten auch intensiv aus, was es „da oben“ an Stimmungen, Wetter und Kerzenschummer in der Hütte geben kann. Trotzdem kam ich nicht immer ganz mit und erhielt ein Feedback aus dem Film, dass er wohl nicht ganz für mich gemacht ist, gerade auch die Schlüsselsituationen, etwa als Pietro die Eintragungen seines Vaters im Gipfelbuch liest, ließen mich seltsam kalt. Wenn die beiden Männer zusammen agieren, ist der Film stark, doch gerade die übermittelten Botschaften kommen zu direkt, dafür wird Pietros Biografie nach seinem Weggang nur angedeutet. Der Film lohnt sich aber auf jeden Fall zum Nachdenken über Freundschaften und unseren eigenen Natur- und Familienbezug.

ps. Ich unterschlage hier einen vierten Film – denn kurz vor Weihnachten habe ich auch Triangle of Sadness von Ruben Östlund gesehen, aber ich bin sicher, den haben bestimmt alle auf der Liste oder schon gesehen, und ja: It’s a must, daher hier nicht ausführlich. Eine Empfehlung wäre eher, den Vorgängerfilm von Östlund ebenfalls anzuschauen: „The Square“ (2017) ist noch einen Tic skurriler und ‚anders‘ komisch, zudem in der Kunstszene spielend.

Fotos (c) Alexander Keuk (2)

 


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Veröffentlicht in Features Rezensionen Wien

2 Kommentare

  1. Lieber Alex,

    Film-Tipps von dir lese ich wesentlich lieber als die üblichen Kommentare in den Zeitungen. Die Rezensionen machen alle erhebliche Lust, sich die Filme anzusehen. Das ist mir leider nicht möglich. Aber es ist bereits ein Genuss, sie auf diese Weise indirekt wahr zu nehmen.

    Bei der Übereinstimmung von Buch und Film habe ich einmal eine schreckliche Erfahrung gemacht. Ich weß nicht mehr den Regisseur und habe auch im Internet nichts gefunden, weil es lange vor der Zeit von Internet war. Es gab eine Verfilmung von H.v.Doderers Roman: die Merowinger oder die totale Familie. Dieser Roman ist der einzige, wirklich humorvolle Roman von den 11 Doderer-Romanen. Manchmal bin ich beim Lesen vor Lachen vom Sessel gefallen.. Mich würde wundern, was Doderer heute noch aus dem Stoff machen würde.
    Jedenfalle habe ich den Film gesehen. Er lief im Stadtkino, Beginn des Rennwegs, direkt beim Schwarzenbergplatz. Der Film war ganz ausgezeichnet. Allerdings nicht für mich. Er war ZU GENAU. Alle Einzelheiten waren genauso wie ich sie mir in meiner Fantasie beim Lesen ausgemalt hatte.Eigentlich fantastisch, sollte man meinen. Aber ich war enttäuscht: ich brauche mir doch den Film gar nicht ansehen, wenn ich die Bllder, dieselben Bilder bereits im Kopf habe. Den Regisseur kann ich nicht kritisieren. Er hat Doderer offonsichtlich sehr gut verstanden. Aber „zu gut, kann auch zu gut sein“. Ein eigenartiges Resumee, nicht wahr?

  2. akeuk akeuk

    Lieber Hans, ich muss hier gestehen, dass ich bis dato noch eine absolute Doderer-Banause bin, abgesehen davon, dass ich beinahe im Riegelhof, der heute auch ein Künstlerrefugium ist, übernachtet hätte – zumindest habe ich die Raxgegend drumherum aber schon mit dem Rad unsicher gemacht. Der Film ist vermutlich dieser hier: https://www.filmarchiv.at/bestellen/shop/totale-familie-die/ – und ja, ich gebe zu, dass diese Ebenen auch nicht funktionieren können, denn der Regisseur ist ja in hohem Maße ein „Leser“, der in der Hand hat, diese Lesewelt in eine filmische umzusetzen. Und das eben ohne uns zu fragen! Deswegen gibt es vermutlich drei Möglichkeiten: die Kontraste bleiben nebeneinander, es funktioniert gar nicht (wie in deinem Fall) oder der Film ergänzt noch die Fantasieebene (wie bei mir, in etwa). Aber ich vermute, darüber sind schon einige schlaue Bücher geschrieben worden…

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