Zum Inhalt springen →

Schonungslos.

Vilde Frang, Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester mit Berg und Schostakowitsch

Dass im Konzerthaus Wien im Moment beinahe täglich hochkarätige Orchesterkonzerte stattfinden, hängt mit den Tourneedaten einiger Ensembles zusammen, die natürlich Wien immer in der Planung berücksichtigen. Und die vermehrte Konzerttätigkeit geht meist einher mit einer musikalischen Haltung des Endlich-wieder-spielen-dürfens, die man fast beim Zuhören greifen kann.

Von tiefgreifenden Änderungen in den Formaten ist in den Konzerten eher wenig zu spüren, wenn, dann ist das im positiven Sinne zu vermerken, denn die Orchester haben in der Stille, in kammermusikalisch aufgestellter Distanz die Ohren geschärft und ihre Fähigkeiten erweitert. Und auch das Publikum – zumindest in Wien – ist weitgehend zurückgekehrt und zeigt sein Interesse auch bei Gastspielauftritten und, wie bei Wien Modern zu beobachten war, auch für ungewöhnliche und zeitgenössische Musik.

Bei einem so hervorragenden Ensemble wie dem SWR Symphonieorchester geht es mit seinem charismatischen Leiter Teodor Currentzis ohnehin schnell in Tiefen der Interpretation, und die aktuelle Tour ist auch kein Zuckerschlecken mit leichter Klassik: Alban Bergs Violinkonzert und Dmitri Schostakowitschs 8. Sinfonie sind Statements und sind dennoch in keinem Moment vordergründig inszenierte Kompositionen – Schönbergs „Müssen“ drängt sich hier als schöpferischer Moment geradezu auf.

Das zeigte sich auch in der Aufführung beider Werke in ihrer Gegensätzlichkeit wie Einzigartigkeit der Interpretation. Die Norwegerin Vilde Frang war die Solistin in Alban Bergs 1935 entstandenen Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, mit welchem die im Alter von 18 Jahren verstorbene Manon Gropius gemeint ist. In gewisser Weise holte Vilde Frang das Konzert in die ursprünglichen Gedanken von Berg zurück, nämlich als feine Porträtzeichnung des jungen Mädchens. Damit diese durch die Deutung der Interpretin nicht noch verdoppelt und damit in eine Überzeichnung geriete, war Frang eine Distanzierung anzumerken, die aber gerade im 1. Satz einer mitfühlenden Betrachtung gleichkam. Auf diese Weise konnte sie mit einem nach vielfach nach innen gewendeten, dennoch klaren und wunderbaren Geigenton mit dem kongenial leise, konturscharf begleitenden Orchester die Linien des Werks herausarbeiten und somit die Geschichte Manons erzählen.

Der herausfahrende 2. Satz ist dann noch stärker im Sinne des Requiems an die Gedanken der Katastrophe, Tod und Trost gebunden und Frang gab hier mehr und mehr eigene Klangfarben hinzu, als wäre in diesem musikalischen Akt des Betrauerns erst recht eine Lebendigkeit verborgen. Ihr aufmerksames und mit dem Orchester stets im Dialog verbundenes Spiel trug die Spannung bis in den himmelfahrenden Schluss, der in seinem fantastisch ausgestalteten Schleierklang eigentlich kein Ende sein wollte. Und vielleicht ist das eine Botschaft, die diese besondere Interpretation des Violinkonzertes trug – so jedenfalls habe ich das bekannte Konzert noch nie hören dürfen.

Die Einzigartigkeit setzte sich im zweiten Programmteil fort. Dmitri Schostakowitschs Sinfonien sind ohnehin samt und sonders Bekenntniswerke, oft mit mehreren Ebenen, in denen das, was gesagt wird, gesagt werden muss, nicht unbedingt dem entspricht, was erklingt. Überzeichnung, Groteske, und auch tiefste Emotionen von Wut, Melancholie und Trauer sind diesen Werken immanent und die 1943 im Projekt einer „Kriegstrilogie“ dreier Sinfonien entstandene achte vereint alle diese Äußerungen.

Teodor Currentzis ist einer der wenigen Dirigenten, die gerade im emotionalen Bereich eine musikalische Übersetzungsarbeit leisten, die grenzüberschreitend ist in dem Sinne, dass das oft selbst bei Schostakowitsch zu hörende „nette“ mezzoforte erst einmal von den Pulten verschwindet. Extreme Dynamik, bis zum Zerreißen gespannte Bögen und natürlich die exzellente Spieltechnik des SWR Symphonieorchesters schufen hier eine herausragende Interpretation, die in ihren brutal zelebrierten Höhepunkten direkt die Magengrube ansteuerte und etwa in den fein ausgehörten Linien des 1. und 4. Satzes den Atem stocken ließ. Currentzis zwingt uns, die Zuhörer, dies alles anzuschauen und mitzuverfolgen, ein Weghören und Wegdenken ist absolut unmöglich.

Und natürlich gingen die Gedanken beim Zuhören auch in die Richtung, wie und warum man solch ein Werk jetzt aufführt (oder im Gegensatz dazu weiter unbeteiligt in allen „Fledermäusen“ der Welt und natürlich besonders in Wien die Tanzröckchen hebt). Das sind Gedanken mit offenem Ausgang, denn nicht alles, was man angesichts dieser Musik fühlt, läßt sich in Worte formulieren. Doch benötigt eine Sinfonie, die Gewalt musikalisch darstellt, eben auch eine ebensolchen Nachvollzug in der Aktion – zu dieser waren die Musikerinnen und Musiker bereit (und hatten hoffentlich einen guten Gehörschutz). Nicht nur diese Exzesse hallten lange in die folgenden Melodielinien hinein nach, es gab auch exzellente Charakterzeichnungen im pointiert modellierten zweiten Satz zu bewundern, dann die bohrende Schärfe der mechanischen Viertel im dritten samt eines Trompetentrios, das seine Karikatur im Stehen in den Saal blies, und die vielen tollen vom Horn über die Flöten bis zur Klarinette, Cello und Solo-Violine weitergegebenen Soli im Finalsatz, der eine Art Frieden evoziert, aber eigentlich – und das markierte Currentzis deutlich in den harmonisch noch einmal Fragezeichen setzenden Schlusstakten – niemals ohne das Erlebte, nun in der Erinnerung, auskommt. Nach der Aufführung folgte eine lange Stille, dann setzte jubelnder Applaus ein.

* Die Tournee wird mit einem Konzert im Rosengarten Mannheim am 27.1. fortgesetzt.
* Im Format „Currentzis LAB“ ist ein Probenvideo von Schostakowitschs 8. Sinfonie mit Currentzis und dem Symphonieorchester des SWR in Stuttgart zu sehen.

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews, Reiseberichte und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser*in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

image_pdf

Veröffentlicht in Rezensionen Wien

Ein Kommentar

  1. Andrea Böhm Andrea Böhm

    Danke, toll! Genauso durfte ich das Programm in Berlin erlebend- die Musik ging durch Maek und Beun mitten ins Herz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert