Am Ende meines letztwöchigen Konzertreigens stand ein Konzert mit dem ORF Radiosymphonieorchester Wien unter Leitung seiner Chefdirigentin Marin Alsop mit Werken von Charles Ives und György Ligeti. Letzterem war das Konzert zum 100. Geburtstag gewidmet – nachdem das KlangForum Wien ja bereits im Jänner das Ligeti100-Jahr im Konzerthaus eröffnet hatte. Insgesamt hätte man den Abend gut und gerne mit „Revolutionen“ überschreiben können, denn beide Komponisten stehen für ein mutiges, innovatives In-Frage-Stellen und sodann Auf-den-Kopf-Stellen ihrer jeweils aktuellen Musiklandschaft und das brachte in beiden Fällen ein lebenslanges Wirken, Agieren und Reagieren hervor, das man in Aufführungen immer noch zu wenig würdigt.
Leider hatte ich – ich glaube, es ist mir nach aberhunderten von Konzerten tatsächlich zum ersten Mal passiert – eine falsche Beginnzeit des Konzerts im Kopf, sodass ich mich bei meiner Ankunft im Konzerthaus Wien über die bereits vollen Garderobenständer wunderte und den freundlichen Hinweis bekam, ich käme gerade zur Pause recht. Also eine gute Stunde zu spät und damit entfiel das Erlebnis von Ives‘ „The unanswered question“ und Ligetis wundersames Klavierkonzert aus dem Jahr 1988 – das ORF Symphonieorchester besorgte damals übrigens die Uraufführung des Klavierkonzerts.
Also ‚begnügte‘ ich mich mit der 2. Sinfonie von Ives und den Arien „Mysteries of the Macabre“ von Ligeti – auch dies allerdings Werke, die man selten genug im Konzertsaal hört, tatsächlich war auch nur die Ives-Sinfonie ein einziges Mal zuvor im Konzerthaus Wien erklungen. Marin Alsop leitete engagiert das Orchester in der Ives-Symphonie an, allein drang dieses Stück fast gar nicht zu mir, was nur teilweise mit der spröden Kontrapunktik und dem Sammelsurium fremder Melodien, die Ives wie selbstverständlich einflechtet, zu begründen ist. Vielmehr fehlte dem Orchester ein Rezept, diese Musik zu packen und mit einem zwingenden Ausdruck zu versehen.
Gleichwohl gab es immer wieder schön herausgearbeitete Passagen vor allem stiller Liedhaftigkeit, und tatsächlich befreit sich Ives ja auch erst in den letzten Partiturseiten aus einer doch überlastet konstruierten Polyphonie – ein wahrlich sperriges Stück, das aber schon allein durch seine Entstehungszeit kurz nach Dvořáks Neunter (!) aufhorchen lassen musste. Und Ives musiziert mit seinen Zitaten und dem trotzig behaupteten und vom ORF-Symphonieorchester mutig hingetröteten Schluss-Schluss munter in die Zukunft: am Ende dieser mit einem ganzes Jahrhundert wohl aufräumenden Sinfonie steht ein Akkord aus 11 Tönen, und der ist ein Ausrufezeichen.
Bei Ligetis „Macabre“-Arien, einem Fragment aus seiner einzigen Oper „Le Grand Macabre“ ist die Musik auf eine andere Art offenherzig, sie ist wirr, schräg, verrückt, laut und leise gleichzeitig und versetzt die Zuhörer sofort in eine Spannungszustand, weil man Zeuge einer völlig überzogenen Szene wird, die in jedem Moment anders skurril wirkt. In der Erstaufführung im Konzerthaus war die Stimme der Sopranistin Yeree Suh einige Male im Ensembleklang verborgen und wiederum waren immer wieder kleine Spannungsabfälle spürbar, die vielleicht der hohen Konzentration geschuldet waren. Bei allem ehrwürdigen Bemühen um Präzision fehlte hier sowohl der Solistin als auch dem Orchester ausgerechnet der Schuss Wahnsinn, der noch die Würze in die Ausführung gebracht hätte.
* das (natürlich vollständige) Konzert wird heute, 3.2. um 19.30 Uhr bei OE1 im Radio gesendet.
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