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…von Sinnen?

Nein, es geht nicht um die beliebte Komikerin dieses Namens, bei dieser Komik hier kommt leider nicht einmal ein Lachen auf. Von Sinnen scheinen offenbar Entscheidungsträger beim Rundfunk zu sein, wenn sie angesichts von Spardiskussionen immer wieder und immer zuerst den Würgegriff an der Kultur ansetzen, nachdem dort schon etlicher Aderlass vollzogen wurde.

Österreich hat nur ein (in Zahlen „1“) Rundfunkorchester, nämlich das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das für das gesamte Land ein horrendes Pensum absolviert, und zwar nicht nur in eigenen Konzerten im Wiener Konzerthaus und im Musikverein, sondern seit über 15 Jahren auch als Fundament des Theaters an der Wien, bei Festivals landauf, landab und natürlich in Rundfunkproduktionen, in Kammerformationen, Schul- und Vermittlungskonzerten, man tippt sich hier die Finger wund. Hier nur eine kleine beeindruckende Liste, was das Orchester demnächst im Programm hat, und das sind nur die öffentlichen Termine.

Ich bin noch nicht lange in Österreich, habe aber im letzten Herbst erlebt, dass das ORF Radiosinfonieorchester allein bei zwei Konzerten beim steirischen Musikprotokoll in Graz und bei Wien Modern geradezu haufenweise Uraufführungen von für das Orchester geschriebenen Werken gespielt hat, die manches subventionierte Stadtorchester nicht einmal in drei kompletten Spielzeiten unterbringen würde. Und zwar, nächstes Argument, das hoffentlich ein paar mehr der Spar-Ottos zum Schweigen bringt, in absolut qualitativ hochwertiger Art und Weise.

Erst am vergangenen Sonntag habe ich mich live im Musikverein bei der Aufführung von Mark Andres Violinkonzert „an“ (entstanden 2014) von der Flexibilität und Klangkompetenz des Ensembles überzeugen dürfen. Zwei Tage später wurde die Spar-Kuh schon durch’s Dorf, pardon – Wien – getrieben. Am Samstag setzte das ORF Radio-Symphonieorchester Wien außerdem spontan ein Werk von Friedrich Cerha zum Gedenken an den gerade verstorbenen großen Komponisten auf’s Programm und gab damit auch einen dezenten Hinweis auf eine Musikkultur und Musikgeschichte Österreichs, deren Mitschrift wesentlich von diesem Klangkörper bestimmt ist. Verschreckt wurde dadurch niemand, eher hatte man den Eindruck, durch Cerha sei das Publikum in besonderer Weise sensibel auf die am Rande der Stille tastenden Klangereignisse von Mark Andre vorbereitet worden. Wer dort hingeht, will genau DAS hören (nachzuhören am 28.2. übrigens, beim, na? – richtig beim ORF OE1).

Zudem kontextualisierte das Orchester – in diesem Konzert durch eine famos interpretierte 5. Sinfonie von Anton Bruckner – die Musik der Gegenwart mit der Tradition und baut sich dadurch eine Kompetenz auf, die niemals durch „Best-of-Klassik“-Tiraden erreicht werden kann. Ganz zu schweigen davon ist gerade die neue Bruckner-CD-Edition mit allen bekannten Fassungen der Sinfonien im Entstehen begriffen, auch dies „erledigt“ das Orchester mit Bravour und dürfte weltweit für Aufmerksamkeit sorgen.

Das soll, ja, seid ihr von Sinnen (in Wien würden mir ganz andere Schimpfwörter einfallen, aber das überlasse ich den Wienern), ersatzlos wegfallen?

Wie kann man da helfen (außer laut zu schreien und solche Artikel wie diesen hier zu verfassen?) Vor allem sei hier auf die aktuelle Petition verwiesen, die gezeichnet werden sollte und Stand jetzt schon fast 35.000 Unterschriften hat. Die bereits im Oktober vom Klangforum Wien gestartete Petition bei change.org samt einem Offenen Brief mit immer noch und erst recht geltendem Inhalt ist ebenfalls noch online.

Hoffnungen richten sich nun darauf, noch vor dem Stiftungsrat des ORF am 23. März ein Aus für das Orchester wegzuverhandeln, äußert unter anderem die künstlerische Leiterin des Orchesters, Angelika Möser, und setzt dabei auch auf Hilfe der Regierung.

Hier eine kleine Presse- und Protestschau mit Analysen und Reaktionen (wird aktualisiert):

Foto (c) Nancy Horowitz

 

 


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Veröffentlicht in Features Wien

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