Neben Musik und Kino reizt es mich natürlich , ab und an Performing Arts-Produktionen, im weitesten Sinne also (Tanz-)Theater und Performancekunst zu besuchen, denn das große Rad der Kunst dreht sich ja nicht nur im Sinfoniekonzert. In Dresden gab es da über die freie Tanzszene, in Hellerau oder auch mit interdisziplinären Events etwa bei der Ostrale einiges zu erleben, und in verschiedenen Formationen habe ich ja auch schon mitgewirkt.
In Wien ist man zunächst leicht überfordert durch die schiere Fülle des Angebots und muss sich einige Perlen heraussuchen, sei es bei Vernissagen oder im Kultursommer oder auch in dem für außergewöhnliche Projekte offenen Volkstheater.
Der Besuch am Donnerstag im Odeon Theater an der Taborstraße war also ein wenig mit dem Dartpfeil auf die Kunstkarte geworfen, denn ich war lediglich durch einige Ankündigungen hungrig geworden: es handelte sich um die zweite Edition der „Living Positions“, eine Art Repertoire-Festival im Odeon Theater in Kooperation mit der Tanz- und Performancecompany Liquid Loft. Die zum Teil ausgezeichneten Stücke, die jetzt in einer Trilogie („Sons of Sissy“, „Posing Project A – The Art of Wow“, „Über Tiere“) noch bis 2.4. am Odeon Theater gezeigt werden, sind vor acht bzw. gut sechzehn Jahren das erste Mal aufgeführt worden.
Als Komponist weiß man, wie es mit alten Stücken geht, die Uraufführung ist vorbei, die Welt dreht sich weiter, das Stück verschwindet in der Schublade. Dennoch kann auch die Musik nur wirken, wenn sie gespielt wird. Gerade Performancestücke entwickeln im besten Fall eine Jetzt-Berechtigung, da sie mit immer neuem Publikum agieren, sich aber auch selbst verändern, re-agieren im Wortsinn.
Interessant wäre bei „The Art of Wow“ zu wissen gewesen, inwieweit die Wiederaufnahme (Choreographie und Leitung: Chris Haring) auch künstlerische Änderungen einfließen ließ. Das Thema der (bewussten) Beeindruckung durch Pose, Haltung oder Aktion scheint ja zumindest seit 2007 unversiegt und unerschöpflich zu sein, trotzdem gab es keine direkte spürbare Anpassung auf das heutige Zeitalter, wo jede Pose instagrammable zu sein hat.
Die fünf Tänzerinnen und Tänzer formieren sich unter 12 Lautsprechern auf dem quadratischen Bodenareal in immer neuen choreographischen Miniaturen – das Publikum gruppiert sich lose darum herum. „Sie dürfen sich bewegen“ ist natürlich die Ansage, die alle in die Starre zwingt und so löst sich das interaktiv Intendierte dieses Stücks etwas in Luft auf, da nur vom Rand zugesehen wird, somit die Schwelle und Grenze definiert bleibt.
Das hat etwas von einer Laufstegsituation, wobei die WOW-Bemühungen der Tänzer mal kokonartig geschehen, als sei überhaupt niemand anwesend (die Einpuppung geschieht mittels T-Shirt), oder es wird ein Gegenüber angesprochen – das Muster der Beeindruckung wird dann weitergegeben wie ein Trend.
So entwickeln sich viele kleine Szenen, die nicht nur geschlechtlich differenziertes Posing amüsant aufgreifen, sondern auch die persönliche Überforderung mit der immer neue Angebote streuenden Fitness- und Aufmerksamkeitsgesellschaft: „I did this, I did that“.
Stimme und Raum gesellen sich hinzu, wobei Chopins Regentropfen-Prélude eine besondere Rolle spielt und das Liquid Loft-Ensemble auch opernhafte Gesichtsakrobatik entfaltet. Insgesamt war ich erstaunt, wie kurzweilig der sechzigminütige Abend verlief, hätte mir aber auch zum Thema Aufmerksamkeit eine viel intensivere, artistischere (WOW!) und längere Auseinandersetzung vorstellen können, die etwa auch die Wirkungen der permanenten Beeindruckungsmaschinerie thematisiert.
Die Reflektion auf ein Posing stand aber weniger im Mittelpunkt als die Pose selbst, die eben von natürlicher Haltung bis zur Groteske einige Nuancen kennt. Vielleicht war dieser Abend aber auch bewusst als eine Art Initialzündung zum Thema konzipiert und könnte – auch nach der Repetition als Repertoire – Neues auslösen.
weitere Aufführungen bis 2. April, siehe Website des Odeon Theaters
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