Da war es wieder, das „Waves Vienna“ Festival, einst ein kleines, feines Showcase-Festival mit vielen Newcomern aus Indie und Alternative, heute ein großes, feines Showcase-Festival, stilistisch noch um einige Farbpaletten erweitert. Mitten in Wien findet es statt, leider heuer ohne das WUK als Veranstaltungsstätte, dort wird saniert. Stattdessen treffen sich die Musikfans in den Gürtelbögen der U6, wo kleine stadtbekannte Clubs wie an der Perlenschnur aufgereiht sind – das Metropol an der Hernalser Hauptstraße sorgt für zwischendurch für einen flotten Fußmarsch an frischer Luft, will man den nächsten Act pünktlich erreichen.
Das erweist sich ein bisschen als Crux des Festivals, denn da 8-10 Acts (von insgesamt tatsächlich einhundert!) gleichzeitig stattfinden, gibt es viel Nichtgehörtes und Nichterlebtes. Dazu kommt ein bisschen Logistikstress und manchmal hört man in einem Club die drei ersten Songs eines Auftritts, um dann beim Nachbarclub ins stilistische Gegenteil zu verfallen und es eventuell bereut, den ersten Gig so früh verlassen zu haben.
Und da die wenigsten Besucher wie Faultiere den ganzen Abend an einem Ast (= im gleichen Club) verbringen, ist der enge Gürtelbürgersteig die Waves-Besucherautobahn, wo man von der Seite noch einen Promo-Eisbecher zugeworfen kommt und natürlich hemmungslos die Anfänge verpasst, weil man unterwegs wen trifft oder sein Bier im Schanigarten nicht im Rekordtempo stürzen will.
Soviel zum Drumrum, Spaß macht es allemal, denn die Verspreizung des Festivals in die kleinen Clubs (die Conference findet hauptsächlich im West-Space statt) hat auch den Kuschelfaktor, der sich meist nicht berechnen läßt, da die Publikumsvorlieben unberechenbar sind und somit auch in den kleinsten Club plötzlich die größte Fanmasse einfallen kann. Immerhin besser so herum für die Bands, als in gefühlt leeren Riesenhallen zu spielen.
Die drei Tage Waves waren vor allem abwechslungsreich, und nach siebenmaligem Ohrenspülen an einem Abend kann auch der eigene Musikgeschmack mal leicht verrutschen. Trotzdem traute ich meinem Bauchgefühl und dank der vorab veröffentlichten Playlist (auch perfekt für die nächste siebenstündige Autofahrt…) hatte ich mir ein vielversprechendes Programm zusammengestellt.
Am Donnerstag ging es mit le-mol im Metropoldi los. Gleich mal eine anständige Progressive/Postrock-Band zu Beginn, direkt aus Wien und nicht allzu anstrengend zuzuhören, da sich die Musik absichtsvoll im Loop dreht, ähnlich den BMWs später auf dem Gürtel. In der gleichen Location spielte dann die Band mit dem eingängigen Namen cousines like shit auf, den selbstgewählten „avant-trash“-Stil dürfen sie gerne noch dicker auftragen, denn irgendwie kam das nicht über eine brave Surfermugge hinaus.
Voll wurde es dann im B72 – Endless Wellness haben schon eine ordentliche Fangruppe und sind auch FM4 Soundpark Act im September. Waves sorgt für das Live-Erlebnis und FM4 ist wichtiger Partner für die Reichweite. So fein komponierte Deutschpop-Songs haben den Erfolg auf jeden Fall verdient, wobei „Hand im Gesicht“ mit dem nackerten Spatzi und der „Psychologie heute“ sogar haarscharf am Sommerhit 23 vorbeischrammt. Damit war auch für mich der erste Höhepunkt erreicht, doch es gab noch mehr tolle Musik am Abend: Güner Künier aus Berlin legte solo eine intensive Performance hin und zu späterer Stunde brachte die kanadisch-britische Band shelf lives fiesguten Post-Punk auf die Metropolbühne. Für den Ruhepunkt dazwischen sorgte Mari (DK) solo im Loft Wohnzimmer, zumindest bis die Bässe von Ferge X Fisherman eine Etage tiefer verstummt waren. Und Maris schlichte Songs überzeugten – eine schöne Stimme, eine Gitarre und Texte, die unter die Haut gehen.
Am Freitag hatte ich ein etwas kürzeres Programm, dafür bei jeder Performance einen stilistischen Planetenwechsel. Los ging es zur PrimeTime im B72 mit anspruchsvollem Indierock von Thala. le:la fiel leider aus, ich wählte als Alternative die spanische Band airu im Kramladen. Auch hier war ich nicht überzeugt, airu ist irgendwo in den 80ern unterwegs, aber die leicht melancholischen, immer geradlinigen Songs hatten etwas von Klangtapete, ich hatte sie schnell vergessen. Also auf zu Oopus, einer estnischen Band, die „Acid auf Folk“ versprach. Leider hielt ich es im Nebel vor einem durchdrehenden muskelgestählten Tänzer und Menschen hinter großer Elektronik keine fünf Minuten aus – viel Hype um nichts?
Dann lieber handgemacht Schönes von meagre martin (Berlin) mit sehr melodischem Popfolk oder Songwriting von meta_ (Mariana Bragada) aus Portugal. Im Chelsea wartete dann Chalk aus Belfast, eine Postpunk-Electronica Band (Selbstbeschreibung: „Berghain-rock blended with techno-punk“) der besonderen Art, für mich tatsächlich ein outstanding Höhepunkt des ganzen Waves-Festivals, obwohl ich selten solche Musik höre (und mag!), aber das packte mich von den ersten Beats und gerade weil die Songs der drei so subtil komponiert sind, hämmern sie sich um so mehr ins Bewusstsein. Vermutlich ist das nix für’s Büro-Pop-Radio, aber für diese nur live erlebbare Erschütterung ist man dankbar.
Samstag, Dritter Tag, was sollte jetzt noch kommen? Diversität vor allem, und weitere Überraschungen guter und weniger guter Art. Das schlimmste wäre nun Langeweile, aber genau die kam beim ersten Act auf, wobei Adina im Metropol mit 18.30 Uhr einen Platz zugewiesen bekam, wo die meisten noch mit dem Einkaufen ihrer Energydrinks beschäftigt waren. Dass universal music, die den ganzen Abend im Metropol gestalteten, einen kapitalfreudigen Mainstream bedient, ist nix Neues, aber es war schon erschreckend, mit welcher Glätte eine junge Sängerin samt im Dienst befindlicher nonameband diesen Nichtanspruch bedient, von großen Gefühlen in knapper Moderation redet, aber nichts davon sich über ihre Musik mitteilt.
Dass man selbst mit kammermusikalischem Dreampop und ein bisschen Theater eine zauberhafte, sympathische Atmosphäre kreieren kann, bewies dann Barbicop (irgendwie hatte ich den Schweizer Schwerpunkt im Festival bislang gekonnt umschifft) im Kramladen. Lahra war dann eine interessante Fortsetzung zum Thema eingängiger Pop, aber mit persönlicher Handschrift und viel Affinität zum Tanzbaren – hier ist auch einmal anzumerken, dass die meisten Künstler:innen auch wirklich mutig Ungehörtes performten und neue Songs ausprobierten, somit war immer Raum für Experiment und Feedback.
Zurück im Kramladen war ich dann offenbar auf einem anderen Festival gelandet, denn nun gab’s tatsächlich traditionellen Folk aus Polen von Kosy – die vier Damen erzeugten mit wenigen Instrumenten wie Geige, Leier und Percussion umgehend eine spirituelle, fast rituelle Atmosphäre und man lauschte gebannt. Die beiden letzten Acts des Festivals waren für mich Lisa Wanloo und Rauchen (Hamburg), die zeitgleich starteten, und während es bei der Schwedin ruhig und atmosphärisch zuging, tobte noch einmal das wilde Leben im Chelsea, denn Rauchen legt sowohl in Text als auch in Musik den Finger in die Wunden: „die Beschissenheit der Dinge beim Namen nennen“ ist letztlich ein absolut legitimer Anspruch von Musik.
alle Fotos (c) Alexander Keuk, Titelbild: airu (ES)
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