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Strauss‘ Salome nach Bondy an der Volksoper Wien – ein zeitloses Meisterwerk?

Die erste Premiere der neuen Saison an der Volksoper Wien galt einem Werk, das in besonderer Weise mit dem Haus verbunden ist. Denn nachdem die Oper „Salome“ von Richard Strauss 1905 in Dresden uraufgeführt wurde, rümpfte man zunächst in Wien gehörig die Nase. Zwar gab es vorher schon eine Gastspielaufführung, doch erst 1910 gelang – an der Volksoper – die erste eigene Produktion, Alexander von Zemlinsky dirigierte das Stück damals. Erst nach acht weiteren Jahren kam die Salome auch an der Wiener Staatsoper heraus. Gustav Mahler hatte sich zwar schon früh für die Oper eingesetzt, konnte sich aber nicht über die Zensur hinwegsetzen.

Die neue Produktion ist nicht nur eine Hommage an die Historie im eigenen Haus, sie wartete auch mit einer weiteren Besonderheit auf: der bereits 1992 bei den Salzburger Festspielen gefeierten und anschließend an vielen großen Häusern der Welt nachgespielten Inszenierung durch den Regisseur Luc Bondy (1948-2015) wurde hier erneut ein Denkmal gesetzt, natürlich mit neuen Stimmen und frischer Regiearbeit, die seine Witwe Marie-Louise Bischofberger-Bondy samt des fast kompletten Teams von 1992 übernahm.

Nunja, wir schreiben 2023, die Welt hat sich weitergedreht. Wie würde man einen solchen Retro-Kniff als Premiere aufnehmen? Die Antwort war ganz einfach, denn Meisterwerke überdauern die Zeiten, mehr noch, sie entwickeln auch ihre Bedeutung in einer anderen Gegenwart als zu ihrer ersten Erscheinung. Das gilt natürlich für Strauss‘ genialen Einakter, aber eben auch für diese Regiearbeit, die in besonderer Weise in die Essenz des Stückes führt, weil sie alles Beiwerk tilgt, Räume schafft und die Figuren tatsächlich agieren läßt – was ja bekanntlich zu keinem guten Ausgang führt.

Insofern folgte man spätestens ab dem zweiten Bild gebannt jedem Schritt oder Blick auf der Bühne, und das Sängerensemble war nicht nur spielfreudig sondern auch schauspielerisch kompetent, so dass wirklich Charaktere entstehen, auch wenn eine Szene in diesem gedrängten, gedrückten, gedrohten Werk meist kurz ausfällt.

Die längste Szene (neben Jochanaans Predigten) ist Salomes Schlussszene, bevor Herodes ihrem Leben ein Ende setzen läßt. Astrid Kessler in der Hauptrolle ist stimmlich wie körperlich sehr agil und damit eine wandlungsfähige, farbige Salome – ein dramatisches Posieren, gar Theater (!) wäre auch in diesem Thriller völlig fehl am Platze, das war schon Richard Strauss selbst zuwider, der nicht verstehen konnte, warum man Herodes immer hyperaktiv über die Bühne rennen ließ. Er hätte allerdings in seine eigene Partitur schauen sollen, denn die psychosomatischen Anwandlungen und das Gesabber nach der jungen Frau sind ja keine Regieerfindungen…

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke zeichnete diesen Herodes denn auch mit konsequenter Vernunftabwesenheit und innerem Wahn, Ursula Pfitzner blieb als Herodias etwas blasser, schaute aber konsequent ins Glas, was angesichts der Ereignisse, auf die sie eh nicht mehr Einfluss hatte als tatsächlich Mutter der „Brut“ zu sein, einer fast geradlinigen Logik entsprach. Auch der finnische Sänger Tommi Hakkala überzeugte mit solider Gestaltung als Jochanaan, in seiner Partie wie in vielen anderen Szenen trat aber ein Gesamtmanko auf, das zwar aus Gründen des Spannungsvortriebs vielleicht erklärbar war, und dennoch: diese Salome war deutlich zu schnell.

In gerade einmal 94 Minuten jagte Omer Meir Wellber (auch bitter, dass man bei der ersten Premiere seiner zweiten Saison bereits „der scheidende Musikdirektor der Volksoper“ hinzufügen muss) durch die Partitur und belastete damit nicht nur den Fluss der Handlung, die trotz der Hochspannung auch Stille und Ruhe vertragen muss, sondern vor allem auch sein anvertrautes Orchester, bei dem ein ums andere Mal die Saiten heißliefen oder die Puste ausging, das betraf vor allem den ersten Teil bis zu Salomes Tanz. Wellber ist jemand, der schnell und effizient denkt und musiziert, aber dem stehen doch ganz klar ausformulierte Haltepunkte wie etwa die knorrigen Blechpassagen am Ende des ersten Zwischenspiels entgegen.

Anders, und damit erfreulicher, war der Tanz selbst musiziert, wo man auch wieder keinen Zweifel an der Standortbestimmung hatte: Wiener Süße breitete sich nun aus, und Astrid Kessler bekam von Wellber auch genug Luft, um sich und Herodes im Wortsinn einzuwickeln. Szenisch war man sowieso die ganze Zeit über dabei, denn dem Sog dieses hervorragenden Spiels konnte man sich nicht entziehen. Der gesamte zweite Teil war dann nur noch von Hochspannung geprägt, das Orchester wuchs mittlerweile über sich hinaus. Die kleineren Rollen auf der Bühne waren sehr gut besetzt, die Szene der streitenden Juden sehr lebendig ausgestaltet. Am Ende brandete riesiger Applaus für das ganze Ensemble inklusive Dirigent und Regieteam auf, aber vor allem für Astrid Kessler, die hoffentlich noch öfter in Wien zu hören sein wird.

 

 


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Veröffentlicht in Rezensionen Wien

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