Im Wiener Musikverein spielten am Mittwochabend die Wiener Symphoniker im Zyklus „Die große Symphonie“ ihr erstes Abokonzert der Saison. Am Pult stand die litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė, die für ihr Gastspiel eher bekannte, dem Ohr gefällige Werke ausgewählt hatte, die aber keineswegs im Repertoire unterschätzt werden sollten, denn sowohl Béla Bartóks Tanzsuite aus dem Jahr 1923 als auch Antonín Dvořáks 7. Sinfonie d-Moll vertragen eine persönliche Lesart, die aber auch deutlich vom Orchester übersetzt sein muss. Denn beide Stücke leben vom Volkston ihres Landes, von untergründig mitkomponierten oder offenherzig ausgetragenenen Tanzmusiken.
Die Litauerin, die mit diesem Konzert ihr Debüt im Musikverein gab, hatte mit dem Finden der speziellen Atmosphäre zwischen Volksmusik und Klassik, Spätromantik und früher Moderne gar keine Probleme, denn ihre körperliche Zeichensprache war jederzeit auf Klarheit und Pulsation ausgerichtet. Das kommt der Tanzsuite von Bartók natürlich zugute, und die Wiener Symphoniker stürzen sich natürlich um so dankbarer in die rhythmischen Verwicklungen, wenn von vorne auch die passende Motivation dazu kommt. Šlekytė schonte die Musiker nicht und schlug straffe Tempi an, die dieses Stück höchst lebendig erschienen ließen und vor allem in den Kontrasten starke Bilder entstehen ließ, die sich schnittartig abwechselten.
Merkwürdigerweise wurde für diese starke Interpretation im ausverkauften Saal nur lau applaudiert – dabei hätte ich gemutmasst, dass ein hundert Jahre altes Werk, das überdies schon rein geographisch gesehen als vertrauter Klang wirken müsste, freudiger aufgenommen wird. Vermutlich waren aber auch viele gekommen, die nun das klassische Solokonzert erleben wollten, und Robert Schumanns Cellokonzert a-Moll, Op. 129 geriet dann auch zu einer schwelgerischen halben Stunde, in der der Solist Kian Soltani eine leidenschaftliche Interpretation formte, die nur im dritten Satz etwas zu forsch und dramatisierend war. Gerade im Mittelsatz und auch in der Zugabe, dem mit Streichern musizierten „Abendlied“ von Schumann, vernahm man wunderbare Ton- und Melodieformung. Vielleicht war der erste Satz des Schumann-Konzertes in der Konturierung noch nicht ganz auf dem Punkt, aber in diesem Konzert sind auch so viele Fragen und Möglichkeiten wählbar, dass auch das Suchen und Finden unbedingt eine Ausdrucksqualität sein darf.
Nach der Pause gehörte Giedrė Šlekytė, die zuvor mit den Symphonikern den Solisten sehr achtsam begleitet hatte, wieder allein. Das kostete sie auch sogleich aus, denn ihr Dvořák-Klang in der 7. Sinfonie war saftig und zupackend und lebte wieder von inneren Pulsen, so dass sich die Symphoniker gut getragen fühlen durften und daraus auch ihre klangschönen Einwürfe etwa der Klarinette oder der flotten Motivik im 3. Satz der Flöte formen konnten. Nach dem ersten Satz schaltete sich kurz das Publikum ein, um zu verkünden, dass nun der Herbst mit Husten und Schnaufen auch in den Musikverein eingezogen sei, hernach kehrte aber mehr Ruhe ein. Šlekytė nahm das Poco Adagio wörtlich und vermied einen Stillstand der Musik, konnte schöne Klangfarben im eher gedeckten Scherzo entwickeln und rauschte dann mit einer hier absolut passenden Start-Ziel-Haltung durch das virtuose Finale, wofür es jede Menge begeisterten Applaus gab.
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