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Mahler im Originalklang

Na klar, wieder mal ein typisches Sinfoniekonzert im Konzerthaus, Rachmaninov und Mahler, diesmal von jungen Nachwuchstalenten gespielt. Doch weit gefehlt – genaueres Studieren der Mitwirkenden und des Instrumentariums deutete auf die Absicht hin, ein Konzert im Originalklang der beiden Werke zu geben, was nichts anderes heißt, dass man sich hörend auf eine Reise in die Jahre 1904 und 1911 begab.

Interessanterweise wagen Ensembles sich nun immer weiter ins 20. Jahrhundert vor. Obwohl die Kurve der Innovation und Novitäten in den letzten fünfzig Jahren flacher wurde, sind  dennoch in manchen Instrumentengruppen stetige Weiterentwicklungen – nicht zuletzt aufgrund einer der impulssetzenden zeitgenössischen Musik – zu beobachten. Nicht selten fungieren Ensembles dabei gleich als Spezialisten für Alte Musik UND für Neue Musik gleichermaßen und geben ihren Konzerten dabei besondere Qualitäten hinzu, die das bloße Aufführen und Interpretieren fast zur Nebensache werden lassen.

Leif Ove Andsnes

Das ist natürlich mit viel Arbeit und Hinwendung verbunden, und die Mahler Academy aus Bozen, die im Konzerthaus gastierte, konnte ein solches Projekt stemmen, weil die Mahler und Busoni-Stiftung nach einer Fusion nicht nur junge Talente in Dozentenkursen ausbildet, sondern im Sinne von Claudio Abbado nun auch ein weiteres Gustav-Mahler-Orchester zur Verfügung steht, in dem sich auch noch Akademisten und Spezialisten aus europäischen Spitzenorchestern ebenso wie aus Spezialensembles mischen.

Und was da auf der Bühne am Mittwochabend zu hören war, war teilweise wirklich ein sensationelles Klangerlebnis. Wenn man so etwas macht, dann auch konsequent – so wurde für das 3. Klavierkonzert d-Moll, Opus 30 von Sergej Rachmaninov ein Flügel aus der Zeit der New Yorker Aufführungen dieses Werkes (unter Leitung von Mahler) verwendet. Tatsächlich könnte Rachmaninov darauf musiziert haben, und allein diese Tatsache ließ die Zuhörer die Ohren spitzen. Der Solist Leif Ove Andsnes ist allerdings versiert genug, nicht auch noch Manieren oder Eigenarten von Rachmaninov am Klavier nachzubilden. Das Konzert war ein vollwertiger Andsnes, und daran hatte man ohnehin große Freude, denn seit vielen Jahren ist der Norweger in dieser Musik sehr selbstverständlich zu Hause, phrasiert aufmerksam und bringt ein rhythmisch sensibles, etwas trocken anmutendes Gusto in dieses Stück. Und nein, wir reden nicht über Wein, und ja, „trocken“ kann bei Rachmaninov auch eine handwerkliche Qualität sein, um durch klugen Anschlag und Übersicht im Stück ein Quentchen Distanz aus der ewigen Kitschschleife zu gewinnen.

Philipp von Steinäcker und das Mahler Academy Orchestra

Dafür bekam Andsnes einen Riesenapplaus, und das Mahler Academy Orchestra durfte hier schon einmal zeigen, was historisch informiertes Begleiten ausmacht – ein silbrig unauffälliger Streicherklang (auf Darmsaiten) war stets kontrastiert von zupackend-obertonreichen Bläsern. Hier fehlte nur im dritten Satz etwas rhythmische Prägnanz im Streicherapparat, und hier und da war der Solist nicht ganz mit dem Orchester zusammen, was aber aufgrund der Lebendigkeit des Zugriffs, die Dirigent Philipp von Steinäcker vom Pult verströmte, verschmerzbar war und im 3. Satz in einen gemeinsam hingejubelten Schlusshöhepunkt mündete.

Vorsichtig verschwand dann der Steinway in der Versenkung des Konzerthauses und wurde wieder im LKW verstaut, denn er tourt mit dem Orchester nun durch halb Europa. Ein wenig nostalgisch dem Klang hinterherhörend konnte man fast bedauern, dass sich nicht öfter einmal Pianisten für eines dieser ehrwürdigen alten Instrumente entscheiden. Es wäre nichts falsch daran – schließlich wählen ja Violinvirtuosen ebenso Instrumente, die bis zu 300 Jahre alt sind, und zwar nicht ausschließlich der Authentizität wegen, sondern aufgrund besonderer Klangqualitäten in bestimmten Werken.

Mahler Academy Orchestra im Konzerthaus Wien

Nach der Pause erklang dann Gustav Mahlers 5. Sinfonie cis-Moll, und weiterhin fühlte man, dass ein dogmatischer Perfektionismus im Originalklangkonzept nicht die Hauptsache war, sondern ein lebendiges Klangforschen vorherrschte, das quasi – so Steinäcker und der mit dem Projekt betraute Musikwissenschaftler Clive Brown in einer Einführung – den Weg zu Mahler neu ebne und kreativ beleuchte. Kürzlich ist bereits die 9. Sinfonie D-Dur vom Ensemble eingespielt worden, und auch die 5. Sinfonie hat schon die Aufnahmesessions im Kulturzentrum Toblach (wo Mahler im Komponierhäuschen seine letzten Werke niederschrieb) hinter sich, insofern konnten sich die Zuhörer im Wiener Konzerthaus an eine bis ins Detail ausgefeilten Darstellung der Sinfonie freuen.

Selbstverständlich hätten Puristen in puncto Balance und Interpretation sofort den Zeigefinger erhoben, aber spannend ist doch erst einmal zu beobachten, was denn durch den neuen Zugang anders möglich ist, das geht ja schon beim Zusammensetzen einer Harmonie in den Bläsern los und endet irgendwo in dynamischen Neuordnungen der Partitur, bei denen man sich aber durchaus fragen könnte, ob man gerade Mahler, der akribisch genau seine Wünsche notierte, eher eben nicht mit modernem Instrumentarium (immer) gerecht wird. Während nämlich allzu sportliche „Modernskys“ (um ein Schönberg-Wort zu zitieren) einen Mahler-Höhepunkt vom Dirigentenpult aus als con tutta forza-Betonblock inszenieren, bieten die alten Instrumente plötzlich die Möglichkeit von hörbarer Binnenpolyphonie und sogar die Schleifer im Adagietto klingen tatsächlich berückend schön.

Dass Philipp von Steinäcker mit unermüdlichem Motivieren und beidhändiger Hinweisgabe das komplexe Werk auswendig hinlegte, war ein zusätzliches Bonbon, um die manchmal auskomponierte unruhig-schwankende Gemengelage gerade in den Mittelsätzen im live-Hören auszutarieren. Und herrlich war es natürlich auch, den vielen Solisten im Orchester zuzuhören, wobei die Horn-Soloplatzierung neben dem Dirigenten im 3. Satz zwar eine nette Geste für den jungen Herrn war, aber im sinfonischen Kontext gerade des Miteinanders und im Hinblick auf den von Mahler intendierten rein symphonischen Gedanken nicht schlüssig wirkte. Nach dem wirklich einmal gehend musizierten, schlackefreien Adagietto legten die Bozener dann auch einen Kehraus hin, der manchmal etwas vogelwild über das Ziel respektive die Partitur hinausschoss, aber sei’s drum: so ein Konzert erlebt man nicht alle Tage, erst recht nicht die jungen Mitwirkenden, die jede Menge wertvolles Futter für ihre Zukunft bekommen haben dürften, der im lau-grauen Hochschul-Übealltag zumeist nicht im Vordergrund steht. Gern mehr davon!

Fotos (c) Andrea Humer / Wiener Konzerthaus

 


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Veröffentlicht in Rezensionen Weblog Wien

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