Georges Pretre im 8. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
In der Politik wird ja derzeit viel über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit gestritten. In der Kunst gibt es zwar auch Tarife, Rechte und Gesetze, doch was spielt das Alter schon für eine Rolle, wenn man musikalisch noch so viel zu sagen hat? Der französische Dirigent Georges Pretre (81) ist jedenfalls weder ein gemütlicher Pensionär noch merkt man ihm nach über sechzig Jahren Tätigkeit am Dirigentenpult irgendeine Belastung an – im Gegenteil, der Mann ist ein Genießer seiner Tätigkeit, wie sich das für einen Franzosen gehört; und diesen Genuss bekamen die Dresdner im 8. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle zu hören und zu sehen. Zunächst war die erste Konzerthälfte Werken von (man möchte fast ausrufen: „Wie könnte es anders sein“) Richard Strauss gewidmet. Pretre musizierte zu Beginn die Tondichtung „Don Juan“; man möchte meinen, dies ist eines der Stücke, was die Kapelle sozusagen im Schlaf spielen kann. Doch Pretre hatte durchaus eigene Vorstellungen vor allem von der Themenphrasierung und Klangentfaltung. Die Kapelle folgte ihm konzentriert und spielfreudig. Kleine verzeihliche Ungenauigkeiten in den ersten Takten und in der Steigerung zum Schlussabschnitt wurden durch ein intensives Klangerlebnis wettgemacht. Sehr vital und im besten Sinne musikantisch gelang dann das späte „Duett-Concertino“ von Strauss mit den Kapellmusikern Wolfram Große (Klarinette) und Joachim Hans (Fagott) als überzeugenden Solisten. Trotz der tadellosen, klugen Ausarbeitung der beiden Solopartien durch Große und Hans hätte ich mir dann doch ein interessanteres Stück für die Solisten gewünscht, die geschwätzige Heiterkeit dieses Gelegenheitswerkes geht einem bei noch so guter Interpretation nicht aus dem Sinn. Welches Werk bringt ein französischer Dirigent aus seinem Land mit, wenn er zum Abschluss des Konzertes Orchester und Publikum gleichermaßen begeistern will? Natürlich Berlioz‘ „Symphonie Fantastique“, ein Werk, das Pretres Modellierarbeit vom Pult aus sehr entgegegen kam. Die Absichten von Berlioz und Pretre befruchtete sich gegenseitig, denn das Stück läd wie kaum ein anderes dazu ein, viele Farben und Klangvarianten auszuprobieren und daraus eine plastische Interpretation zu formen. Dies gelang Pretre mit der Staatskapelle vortrefflich, vor allem die „Szene auf dem Lande“ gestaltete er im Tempo sehr flexibel der musikalischen Linie nach. Im ersten Satz und auch im „Ball“ wählte Pretre mittlere Tempi, die gleichermaßen Kontrolle und Freiheit zuließen: so wird Musizieren selbstverständlich, entwickeln sich Melodien und Modulationen natürlich aus dem Fluß der Zeit. Was sich im 4. Satz andeutete wurde im abschließenden „Hexensabbat“ Gewißheit: Georges Pretre verordnete schärfste Attacken und ein entfesseltes Vorwärtsstürmen hin zum Schlußakkord, dem stehende Ovationen des Publikums für die glutvolle Interpretation folgten.
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