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Zwischen Clownerie und Authentizität

„Hallo Welt!“-Prolog der „Tage der zeitgenössischen Musik“ im Bahnhof Neustadt

Wenn die „Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“ in diesem Jahr 20jähriges Jubiläum feiern, dann kann ein Eröffnungsprolog durchaus festliche Züge tragen. Der Prolog des Prologes fand indes schon in Hellerau statt: die Wiedereröffnung des Festspielhauses Anfang September bereitete den Ort für Zukünftiges. Fehlt nur noch die Ankunft der Musiker, insofern ist die Auswahl des Neustädter Bahnhofs für den Prolog sinnfällig. „Hallo Welt!“ riefen die Beteiligten daher auch vielstimmig, künstlerisch und auch künstlich. Unter das Reisevolk mischten sich Musikschüler, Sänger und Instrumentalisten, das typische Publikum des Festivals bevölkerte den Bahnhof und erkundete dessen Gänge und Treppen als galt es überall versteckte Klänge aufzuspüren. Diese hatte der Initiator und Komponist Johannes S. Sistermanns fein verteilt, einige waren lautstark und offenkundig, andere wiederum nur als leichte Irritation zu spüren, so etwa eine verstörende Audio-Fläche in der Buchhandlung oder die merkwürdige Eingebung, eine Abfahrtszeitenvitrine würde zum Zuschauer sprechen – kleine, ins Glas eingelassene Mikros machen es möglich. Sistermanns Szenen waren teils örtlich gebunden, teils wanderten sie. Und so vielfältig sich dies darstellte, so kritisierenswert ist es auch. Denn die Gratwanderung zwischen Intention, Inszenierung, Improvisation und den vorgefundenen Realitäten im öffentlichen Raum ist schwierig.

So wirkte das „Bimbo-Town-Orchester“ Leipzig, das um 21.00 Uhr einem Zug entstieg und im folgenden im ganzen Bahnhof improvisierten Lärm entfachte, mehr als lächerlich im Kontext. Wenn ein Festival mit zeitgenössischem Anspruch zur Eröffnung ein Clownerieorchester engagiert, das mehr Spaß an der Selbstinszenierung denn an zeitgenössischem Diskurs entwickelt, stimmt dies nachdenklich. Gegenbeispiel: am Ende des Durchganges im Bahnhof hockten zwei Musiker mit E-Gitarren, die sofort ihr – vom Festival unbemerktes und nicht eingeladenes – Publikum fanden. Dies war eine kleine Oase von Authentizität, von wirklichem Be-Spielen des Raumes unter Einbeziehung seiner vorbeieilenden und verweilenden Menschen. Der an die Zuhörer ausgeteilte „Fahrplan“ hätte im „Ernstfall“ zum Verpassen jeglicher Züge geführt, denn einige Punkte der Veranstaltung gingen gründlich schief, so etwa die komplett unsichtbaren Videoinstallationen. So lag die Stärke der Aufführung auch eher in den leisen, unmerklichen Regionen, große Atmosphäre hatte etwa das „Pas de pied“, in welchem drei Dutzend Musikschüler das übliche Tempo eines Bahnhofes in die Zeitlupe verlagerten. Auf diese Weise teilte sich der Bezug zum Ort sofort und direkt mit. Auch die Klangaufgaben im Schließfachraum hatten eigene, etwas abgeschottete Qualität, man musste sich schon mit Kopfhörern, Auge und Ohr diesen Kleinodien widmen. Insgesamt förderte die Performance das unkonventionelle Einlassen auf einen Raum und seine Ereignisse. Manch Reisender wird sich über die Kurzgeschichten anstelle von Zugansagen aus dem Lautsprecher gewundert haben. Andere betrieben eher „business as usual“ und ließen sich beim Feierabendbier im Stehen nicht von umherwandelnden Sängern stören. Bei allem organisatorischen Aufwand stellte sich am Ende doch stark die Frage, wer hier wen begrüßte und ob für solche Performances, die mehr das Offene betonen, über diesen Gedanken aber auch gefährlich in die Überflüssigkeit kippen können, nicht längst „der Zug abgefahren ist“.

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