Zum Inhalt springen →

Schlüssiger Mendelssohn

Hugh Wolff zu Gast bei der Dresdner Philharmonie

Der amerikanische Dirigent Hugh Wolff leitete bis 2006 fast ein Jahrzehnt das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, er setzte sich dort vor allem für die Musik der Wiener Klassik sowie für zeitgenössische und amerikanische Musik ein. Die Vielseitigkeit des Repertoires und das Streben nach außerordentlicher Qualität, die Rundfunkorchestern zu eigen ist, brachte Wolff auch zu seinem Dresdner Gastspiel beim 4. Philharmonischen Konzert mit. Nicht jeder Dirigent beginnt ein Konzert gleich mit einer kompletten Sinfonie. Hugh Wolff wählte die 3. Sinfonie, die „Schottische“, von Felix Mendelssohn-Bartholdy aus, ein Werk, was in der Rezeption immer noch ein wenig vernachlässigt eher gelegentlich auf Programmzetteln erscheint. Wolff öffnete gemeinsam mit der Dresdner Philharmonie eine Schatztruhe voller Klangzauber und fein abgestufter Nuancen. Der Kopfsatz hatte ein straffes Metrum, wirkte dabei aber überlegt ausmusiziert. Dem schloss sich ein – ganz nach Mendelssohns Tempovorschrift „assai vivace“ – äußerst flottes Scherzo an, in dem Wolff aber Maß hielt und immer wieder zu neuem Schwung ansetzte. Attacca-Übergänge und ein selbst im Adagio flüssiges Musizieren formten ein frisches, von aller Patina befreites Mendelssohn-Bild, dem Wolff mit einem übersichtlichen, moderat abschließenden Finale noch einen weiteren persönlichen Akzent hinzufügte – eine schlüssige Interpretation. Obwohl Béla Bartók sein Bratschenkonzert vor seinem Tod nicht mehr fertigstellen konnte, hat die rekonstruierte Fassung einen festen Platz in den Konzerthäusern gefunden. Der aus Litauen stammende Solist Julian Rachlin dürfte weder mit der Berufsbezeichnung „Geiger“ noch mit „Bratscher“ zufriedenstellend benannt sein – er spielt beide Instrumente, und dies auf einem weltweit beachteten hohen Niveau. Gleich zu Beginn des Konzertes konnte man Rachlins voluminösen Bratschen-Klang bewundern und wurde diesen auch nicht mehr los, denn Rachlin formte bis zum letzten Ton des Bartók-Konzertes eine packende, „sprechende“ Darstellung, die voller Leidenschaft und Dramatik war. Dabei ging er oft frei mit dem Material um, verstärkte aber dadurch den ohnehin oft ruhelosen, intensiven Charakter der Partitur. Im 2. Satz fand Rachlin tröstende, warme Ruhepunkte und brannte schließlich im 3. Satz ein virtuoses Feuerwerk ab, das nur zu Beginn gemeinsam mit Hugh Wolff etwas zu überhitzt angegangen wurde. Zeitlich parallel zu Bartóks letzten Werken entstand 1945 Igor Strawinskys „Sinfonie in drei Sätzen“ – ein Stück, das mit dem Etikett Neoklassizismus nur unzulänglich klassizifiert werden kann. In vielen Schattierungen schimmert diese Sinfonie, die traditionelle Elemente zwar selbstverständlich einbezieht, aber avanciert verarbeitet. Wolff setzte in der Interpretation quasi auf eine eigene Retrospektive Strawinskys. Er legte den Akzent auf rhythmische Transparenz und eine punktgenaue Darstellung der schroff gestalteten Harmonik; auf diese Weise schlug Wolff eine Brücke zu den frühen Ballettmusiken Strawinskys. In dem komplexen Stück blieben in der Balance und Präzision sicherlich noch Potenziale zur genaueren Darstellung, angesichts knapp bemessener Probenzeit war das Konzertergebnis jedoch eine sehr gute Leistung.

image_pdf

Veröffentlicht in Rezensionen

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert