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Geistvoll, weich und gelassen

Uraufführung der 9. Sinfonie von Alfred Schnittke in der Frauenkirche

Manche Dinge bleiben unerklärlich. Da gelingt es der Dresdner Philharmonie, ein Musikereignis von internationalem Rang samt berühmten Interpreten wie dem Hilliard-Ensemble in die Stadt zu holen und man wundert sich über eine gerade einmal halb gefüllte Frauenkirche. Doch das Konzert selbst wirkte lange nach. Uraufgeführt wurde die 9. Sinfonie von Alfred Schnittke, seinem letzten vollendeten Orchesterwerk. Schnittke starb nach schwerer Krankheit 1998 und hinterließ die Sinfonie als musikalisches Vermächtnis. Es musste lange Zeit vergehen, ehe sich der Wunsch der Witwe Irina Schnittke erfüllte, dass das Manuskript eine aufführbare Fassung erhält. Sich diesem Werk nun rezipierend zu nähern, verlangt einiges an Beschäftigung mit der Materie, stellt doch der spezielle Nimbus letzter bzw. unvollendeter Werke in der Musikgeschichte bei vielen Komponisten ein spannendes Kapitel dar. Den Abschied von der Welt musikalisch zu artikulieren, dafür gibt es weder ein Rezept noch eine gültige musikalische Sprachform. Tod und Vergänglichkeit sind für Komponisten ohnehin immer Themen großer musikalischer Werke gewesen, doch die Gewissheit des persönlichen Abschieds von der Welt mag eine Partitur erzeugen, die sich einer Deutung schlicht entzieht. Nun erklangen die drei vollendeten Sätze der 9. Sinfonie von Schnittke in der Rekonstruktion des russischen Komponisten Alexander Raskatov vor, der insgesamt vier Jahre an der Dechiffrierung des Autografs gearbeitet hat. Reduziert sind in dieser Partitur vor allem die Klangfarben und die rhythmische Finesse, faszinierend ist allerdings der kontrapunktische Bereich. Schnittke findet in der Neunten zu einer sehr frei wirkenden Arbeit mit Harmonik und vor allem Skalenläufen, die aber niemals dramatische Aufschwünge oder Abstürze demonstrieren, sondern eher gelassen im Raum rotieren – am ehesten erinnert die Musik an die Concerti Grossi Schnittkes, in denen ebenfalls das freie Spiel mit Formen und Entwicklungen dominiert. Selten, aber dann doch mit der bekannten Härte, blitzt der „andere“ Schnittke aus der Partitur: in Extremlagen der Hörner, geschärfter Harmonik oder dem metallischen Gesang des Cembalos im Orchester. Doch in der Neunten überwiegt eine weiche, geistvolle Grundhaltung, die sich vor allem in den ruhigen Satzschlüssen zeigt. Dennis Russell Davies verhalf der Partitur am Dirigentenpult zu einer lebendigen Interpretation und das Orchester konnte durch Aufmerksamkeit und transparentem Klang der Orchestergruppen überzeugen. Eingebettet war die Uraufführung in einen Rahmen aus alter und neuer Musik, und dies wäre sicher ganz im Sinne Schnittkes gewesen. Vor allem die Entscheidung für die Motetten von Guillaume de Machaut war im Vergleich zu Schnittkes Werk frappierend, denn gerade die alte Motettenkunst scheint in der motivischen Arbeit der Neunten eine besondere Rolle zu spielen. Nicht durchweg überzeugend war die Interpretation der drei- und vierstimmigen Motetten durch das Hilliard Ensemble. Deren besondere Souveranität beim Umgang mit dieser Musik leuchtet zwar durch jede Note, doch hätte die Verschmelzung der Stimmen noch größer sein können, die Gestaltung indes markanter. Das Hilliard Ensemble und Elena Vassilieva (Mezzosopran) waren zum Abschluss des Konzertes die Solisten in Alexander Raskatovs „Nunc Dimittis“, einem musikalischen Epilog zur 9. Sinfonie, „in memoriam Alfred Schnittke“ komponiert. Raskatov kombinierte in diesem langsamen musikalischen Satz Texte von Joseph Brodsky und des Heiligen Siluan und verblieb mit wenigen klar gesetzten musikalischen Elementen in der Atmosphäre liturgischer Musik russischer Prägung, auf diese Weise erfuhr das Konzert ein angemessenes, ernstes und sogar tröstliches Ende.

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