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Freiheit? Schuld?

Premiere „Vorfall in Kwangju“ von Eunsun Lee in der Kleinen Szene

Geschichtsdokumentation wollte die junge südkoreanische Komponistin Eunsun Lee mit ihrem Opernerstling, der Kammeroper „Vorfall in Kwangju“, wohl nicht betreiben. Ob sie aber geahnt hat, dass ihr Stück angesichts der „Vorfälle“ in Tibet eine solche Brisanz und Aktualität haben würde? Ein Stück über Menschenrechte und Vertreibung ist immer aktuell, aber in diesem Jahr ist die mediale Aufmerksamkeit besonders auf den asiatischen Raum gerichtet. Der wirkliche „Vorfall in Kwangju“ in Südkorea liegt indes keine dreißig Jahre zurück. Der Premierenbesuch in der Kleinen Szene am Freitagabend auf jeden Fall eine ernste Sache, bei der die Gedanken um die Macht und Ohnmacht des „kleinen Mannes“ kreisten. In der Oper war es ein Mann namens Hong-Suk Park, dessen Schicksal stellvertretend für viele Entrechtete nicht nur in Korea um 1980 stand, sondern für jede ähnliche, tagtäglich stattfindende Situation auf der Welt: ein kleines aber glückliches Leben wird gelebt, man kämpft für seine Familie, man zeigt Widerstand gegen eine Obrigkeit, schließlich begeht man – angebliches – Unrecht und am Ende steht die Frage nach Freiheit und Schuld im Raum. Diese neue Produktion der Semperoper geschah wieder in bewährter Kooperation mit der Musikhochschule, der Palucca-Schule und der Hochschule für bildende Künste; sie fand außerdem im Rahmen des Projektes „KlangNetz Dresden“ statt. Mit ganzer Kraft wurde hier von Studenten eine keineswegs leicht zu erarbeitende Partitur in professioneller Weise umgesetzt, dies nötigt höchsten Respekt ab. Eunsun Lee, bis zum letzten Jahr Kompositionsstudentin in der Meisterklasse von Prof. Wilfried Krätzschmar, konzentrierte den „Vorfall“, die blutige Niederschlagung von Demonstranten gegen die Diktatur 1980, auf ein Familienschicksal und splittete dies nach Motiven des zeitgenössischen Madangtheaters, einer öffentlichen Improvisationstheaterform auf. Diese Inspiration schien aber für Lee eher nur formale Linienziehung zu bedeuten, denn von Improvisation oder Konzentration auf wenige theatralische Mittel konnte in der Oper nicht die Rede sein. Sowohl die Komponistin als auch der Regisseur Hendrik Müller überfrachteten die Geschichte mit einer komplexen Mischung aus Klängen, Gesten, Aktionen, Formen und Bedeutungen. Dies alles war höchst avanciert und durchdacht, bloß emotionale Spannung, die Intensität in der Aufmerksamkeit erzeugt hätte, kam an keiner Stelle des Abends auf. Stattdessen besudelten sich die Protagonisten im Bühnensandkasten, wurde reichlich Bier verschüttet und aus dem Orchester ertönten zumeist abstrakte Strukturen, die zwar viele Einzelideen verarbeiteten, aber nie eine nachhaltige, stark wirkende Handschrift oder dramaturgische Linie formten, die dem Text, den Bildern und dem Tanz eine angemessene (aufrüttelnde!) musikalische Übersetzung gegeben hätte. Das ist angesichts eines so wichtigen aktuellen Stoffes ein trauriges Ergebnis, reiht sich aber nahtlos in die Reihe etlicher gescheiterter Versuche mit politischen Sujets auf der Opernbühne ein. Fünf Protagonisten teilten sich in immer neue Rollen auf, die aber viel weniger Theater zugunsten einer tieferen Aussage vertragen hätten. Julia Beyer (Bühne) schuf eine praktikable Wandlösung für den Raum, ihre widersprüchlichen, fehlerbehafteten Kostüme waren ebenfalls gelungen. Innerhalb der schwer zugänglichen theatralisch-musikalischen Denkfabrik wirkte Alessandra Fabbris Choreografie der Tänzer wie ein wohltuender Fremdkörper. In sechs gekachelten Zellen bewiesen Studentinnen der Palucca-Schule, wie man dem Stoff weder durch Wort, Ton oder Handlung sofort gerecht werden kann, wie Enge und Not über 80 Minuten sicht- und fühlbar wird. Es war erstaunlich, dass man angesichts dieses Elementes auf einfache Weise vorgeführt bekam, wie weit entfernt vom Sujet eigentlich die anderen Ebenen der Oper vor sich hin dümpelten. Großen Applaus gab es für die Sänger und Musiker der Aufführung, allen voran für den hell strahlenden, ruhig geführten Tenor von Alexander Schafft in der Hauptrolle des Hong-Suk Park. Maria Meckel, Franziska Neumann, Georg Finger und Matthias Kleinert überzeugten allesamt mit stimmlicher und theatralischer Vielseitigkeit, Barbara Hoene (Schamanin, Mutter) fügte zu Beginn eine eher mystische Ebene in das Werk ein, die aber keine weiteren Auswirkungen für das Werk hatte. Lennart Dohms leitete ein klug positioniertes und versiertes Kammerensemble und hatte keine Mühe, die avancierte Partitur im kleinen Raum auszubalancieren. Trotz aller Bedenken ist ein Besuch unbedingt empfehlenswert, schon allein um eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem Thema zu betrachten, das uns alle angeht, aber auch wegen einer überzeugenden Leistung eines fast durchweg studentischen Ensembles.

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Veröffentlicht in Rezensionen

4 Kommentare

  1. Sehr interessante Rezension.
    Ich frage mich ja auch immer, wie die Gleichung aufgehen wird:

    Hair : Vietnam = ? : Irak-II

    • Da reicht doch der Mozart-Kanon, oder?

      „C-A-F-F-E-E, trink nicht so viel Kaffee.
      Nicht für Kinder ist der Türkentrank,
      schwächt die Nerven macht dich blaß und krank.
      Sei du kein Muselmann, der das nicht lassen kann.“

      Vielleicht noch ne Idomeneo-Szene dazu, und es brennen die Opernhäuser…

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