Neue Musik in der Hofmühle
Der zeitgenössischen Musik wird oft entgegengehalten, sie sei zu kompliziert und die schwer zugänglichen Werke würden die Zuhörer nicht mehr erreichen. Abgesehen von dem Argument, dass dies zu allen Zeiten so war, gibt es erfreulich viele Initiativen, die einem mit neuer Musik unerfahrenem Publikum sozusagen unter die Arme respektive die Ohren greifen. Kluge Programmdramaturgien, Einführungen oder Kontrastwirkungen der Stücke sind dazu zu zählen. Eine besondere Art, sich neuen Klängen zu nähern, hat sich der Dresdner Komponist Carsten Hennig einfallen lassen. Dabei war seine Idee denkbar einfach (und auch nicht neu), denn die Zuhörer seiner in der Maschinenhalle der Hofmühle in Dresden-Plauen vorgestellen Komposition hatten nur eine Anweisung zu befolgen, die sich im Nachhinein nicht als Einschränkung, sondern als Bereicherung erwies: sie hatten die Augen verbunden. Das Konzert zur Sommersonnenwende erstreckte sich in mehreren Runden über den Nachmittag und hätte noch ein wenig mehr Publikum verdient – wer dort war, war begeistert und fasziniert von dem, was sich unsichtbar in der 360-Grad-Tiefe um ihn herum abspielte. Das Klaviertrio elole, Karoline Schulz (Flöte), Georg Wettin (Klarinette) und Carsten Hennig (Percussion) gestalteten zu einem vorproduzierten Zuspielband (als fest komponierte Rahmenstruktur) ein spannendes Klangereignis, das keinesfalls beliebig war und mit den Ohren gut zu verfolgen war. Mal konnte man sich auf sinkende Tonhöhen konzentrieren, mal auf pochende oder plätschernde Klangfarben, mal auf ein sich näherndes Instrument. Die Kürze des Werkes war ebenso sympathisch für diese neue Art, Musik zu entdecken. Nach zwanzig Minuten hatte man eine kleine Landschaft hörend erforscht und war dankbar für die Abschaltung des Sehens, das in diesem Fall die Wahrnehmung durch sichtbar umherlaufende und agierende Musiker nur gestört hätte. Eine solche Maßnahme ist etwa im Klangtheater von Mauricio Kagel undenkbar, hier funktioniert sie wunderbar, weil sie schon die Voraussetzung für die Klangereignisse bildet. Die Idee ging also auf, und sie ist durchaus zum Weiterdenken geeignet, denn mit der Focussierung auf das Gehör könnte auch weitaus komplexere Musik verständlich werden. So ist völlig unverständlich, warum man dieses Konzept bei Konzerten mit elektronischer Musik nicht längst anwendet, denn nichts scheint absurder als eine Konzertlänge lang auf vier Lautsprecherboxen zu starren. Und wir Zuhörer würden vielleicht doch einmal neu erlernen, wie wertvoll unser akustischer Sinn ist und wie eindrucksvoll wir ihn benutzen können.
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